TEXT: GUIDO FISCHER
MUSIKFABRIK
»Nach innen« – Werke von Willcock, Andre, Saariaho.
Im Laufe seines 20-jährigen Einsatzes für die Neue Musik ist das Schallarchiv der Kölner musikFabrik entsprechend angewachsen. Da war es an der Zeit, diskografisch eine kleine Zwischenbilanz der Erst- und Uraufführungen zu ziehen. Die neue Edition ist inzwischen bei Folge 6 angelangt, die laut Titel das Hörrohr »nach innen« ausrichtet. Die drei Kompositionen von Ian Willcock (England), Mark Andre (Frankreich) und Kaija Saariaho (Finnland) sind jedoch keine musikalischen Entspannungsübungen. Vielmehr herrschen irgendwo zwischen Seele und Herz existenzielle Klangnotsituationen, die aufwühlen, erschüttern oder berühren wie in dem orientalisch schillernden Klagegesang für Violine und Orchester von Saariaho.
Wergo 6856 2
SPANNUNGEN
Werke von Dvořák, Schumann, Reimann, Schubert, Widmann
Einmal im Jahr erlebt die gute, alte Kammermusik eine Frischzellenkur abseits der Musikmetropolen in der Eifel, wo Pianist Lars Vogt zum Festival SPANNUNGEN einlädt. Auch 2009 kamen namhafte Musikfreunde, um mit Vogt einen weiten Bogen von der Klassik bis in die Gegenwart zu schlagen. Christian Tetzlaff und Isabelle van Keulen, die Widmann-Geschwister und Stephen Osborne – fast aus dem Stand heraus formierten sich Vogts Mitstreiter zu immer wieder neuen Ensembles. Ob es nun ein Streichsextett von Dvořák, ausgewählte Cello- und Klarinetten-Werke Schumanns oder eine kreative Spiegelung von Schuberts Oktett durch Jörg Widmann waren, angesichts des musikantischen Elans und der geistigen Tiefenschärfe war das wieder ein Top-Jahrgang.
Avi 8553207 & 8553209 / Harmonia Mundi
DARLINGTON UND DIE DUISBURGER
Peter Tschaikowsky: Violinkonzert u. a.
Eine Stradivari bekommen nur die Besten ausgeliehen. Auch Susanna Yoko Henkel spielte eine – das Modell Ex Leslie Tate. Dass die Deutsch-Japanerin zur ersten Geigen-Garde zählen soll, hat sich zwar noch nicht rumgesprochen. Duisburgs GDM Jonathan Darlington weiß es aber schon. Weshalb er Henkel in der Saison 2009/10 zu einer Residence einlud und sie mit den Duisburger Philharmonikern für Tschaikowskys Violinkonzert begleitete. Wie Henkel beim Konzertmitschnitt das Pathos wohldosiert aufblühen lässt, die Doppelgriff-Akrobatik makellos, aber nicht effektvoll inszeniert und im Mittelsatz für sensible Schattierungen sorgt, lässt eigentlich nur einen Gedanken zu: Man könnte ihr die Stradivari auch schenken.
Acousense 21510 / Gebhardt Musikvertrieb
BLUNIER UND DAS BEETHOVEN ORCHESTER
Franz Schmidt: Symphonie Nr. 4
Über den Österreicher Franz Schmidt rümpfen viele die Nase. Obwohl Zeitgenosse von Mahler und Schönberg, verbiss er sich ins hochromantische Erbe von Brahms und Bruckner. Seine Abscheu vor allem Atonalen fiel zudem bei den braunen Kunstideologen auf fruchtbaren Boden. So hat sich gerade mal sein Oratorium »Das Buch mit sieben Siegeln« im Konzertbetrieb gehalten. Dabei bietet spe-ziell seine 4. Symphonie unerwartete Überraschungen. 1932 unter dem Eindruck des Todes seiner Tochter entstanden, besitzt es nicht nur mit all dem dunklen Melos requiemhafte Züge. Schneidige Snare-Drums sorgen für dramatisches Schostakowitsch-Appeal; der finale Abschiedskuss besitzt Strauss’sche Süße. Das von Stefan Blunier geleitete Beethoven Orchester Bonn realisiert das alles mit höchster Spannung und Klangkultur, so dass man von einer Ehrenrettung eines lang Übergangenen sprechen darf.
MDG 937 1631-6 / Codaex
STENZ UND DAS GÜRZENICH-ORCHESTER
Gustav Mahler: Lieder aus »Des Knaben Wunderhorn«
In diesem Jahr feiert die Klassik-Welt den 150. Geburtstag des Großsymphonikers und Liedkomponisten Gustav Mahler. Schon mit den ersten Einspielungen einer geplanten Gesamtaufnahme aller Symphonien hat Markus Stenz mit seinem Kölner Gürzenich-Orchester die Zerrissenheit und Sehnsucht Mahlers spektakulär inszeniert. Jetzt schiebt Stenz mit Sopranistin Christiane Oelze und Bariton Michael Volle eine Aufnahme mit 14 Liedern dazwischen, die Mahler auf Texte der Volksliedsammlung »Des Knaben Wunderhorn« komponierte. Wieder ist man gepackt von der schauerlich-schönen, grotesk-humorigen Klangsprache, die mit Marschrhythmen und Ländlern frösteln und zugleich selig macht.
Oehms Classics 657 / Harmonia Mundi
DANIEL SEPEC / ANDREAS STAIER
Robert Schumann: Violinsonaten u. a.
Lange galt die Einschätzung, die Spätwerke Schumanns seien nichts weiter als Seismografen seiner nahenden Geisteskrankheit. In den beiden Violinsonaten, die Schumann in Düsseldorf 1851 komponierte, und ihrer Neueinspielung durch Violinist Daniel Sepec und Pianist Andreas Staier ist davon nichts zu spüren. Wohl konturieren beide Experten his-torischer Aufführungspraxis die Skalen von stürmender Rastlosigkeit bis zu geheimnisvoller Anmut bisweilen messerscharf. Aber wie Sepec an seiner Violine von 1780 und Staier an einem Érard-Flügel (1837) sich vom Grundton her kernig bewegungslustig, leidenschaftlich und beseelt zart geben, widerspricht allen Schumann-Klischees. Komplettiert wird dieses revidierte und moderne Bild Schumanns von einer Bach-Bearbeitung sowie seinen »Gesängen der Frühe« für Klavier.
Harmonia Mundi 902048
BERTINI UND DAS WDR-SINFONIEORCHESTER
Werke von Berlioz, Ravel, Debussy
Bei diesem Namen zieht eine glanzvolle Dirigentenlaufbahn vorbei. Gary Bertini war nicht nur in Oper und Konzert ein Alleskönner, setzte bei Mahler Maßstäbe und engagierte sich für die Neue Musik eines Bernd Alois Zimmermann. Bertinis Hauptarbeitsplatz von 1983 bis 1991 war das Kölner WDR-Sinfonieorchester. Auch danach kehrte er zu ihm zurück, um sogar Repertoire-Schlager aufregend neu zu gestalten. Die jetzt in einer 3 CD-Box veröffentlichten Live-Aufnahmen von 1985 bis 1994 stehen im Zeichen Frankreichs, anfangend von Berlioz’ Symphonie Fantastique bis zu Debussys »La Mer« und dem »Prélude à l’après midi d’un faune«. Während Bertini da koloristische Feuerwerke zündet, flirtet er heftig jazzy mit Martha Argerich: in Ravels Klavierkonzert.
Capriccio 7065 / Naxos
FRANK BUNGARTEN
Villa-Lobos: Sämtliche Werke für Gitarre
Als der gebürtige Kölner Frank Bungarten einst, bei einem Wettbewerb in Granada, die Siegestrophäe von der Gitarrenlegende Andrés Segovia überreicht bekam, zitterten ihm etwas die Hände. Er selbst ist eine Koryphäe am klassischen Sechssaiter, was er mit seiner Gesamteinspielung sämtlicher Werke für Gitarre solo des Brasilianers Heitor Villa-Lobos bestätigt. Die Anfang des 20. Jahrhunderts entstandenen Piècen atmen einen unverkrampft leichten Umgang mit brasilianischen und europäischen Klangidiomen. Auch besitzen sie dank des feinnervigen Spiels empfindsame Wärme und subtile Raffinesse noch im Brillanten. Selbstverständlich fehlen auch nicht die anspruchsvollen Douze Etudes, die Villa-Lobos 1929 für Segovia komponiert hatte.
MDG 905 1629-6 / Codaex