TEXT: KATJA BEHRENS
Das große Foto im Treppenhaus gibt sein Motiv nicht gleich preis. Doch bald schon ist die Außenseite eines halb abgerissenen Gebäudes zu erkennen, der Blick wandert durch die zerstörte Wand ins Innere und auf der anderen Seite durch ein Fenster wieder hinaus. Hier endlich ist ein Stück der struppigen kalifornischen Wüstenlandschaft zu sehen: »Wonder Valley 01« (2007/2008). Thomas Florschuetz hat mit seinem Durchblick gewissermaßen eine Anleitung für die gesamte Ausstellung gegeben: Das Fensterbild, der gerahmte Ausschnitt, legt die Koordinaten für Weltsicht fest.
Der zweite Teil der Ausstellung »Weltsichten« in der Bochumer Stiftung Situation Kunst handelt vom modernen Blick auf die Welt. Untersuchte der erste Teil der Schau Landschaftsgemälde vom 17. Jahrhundert bis heute, sind es nun Fotografie und Film, die auf ihren Weltausdruck hin befragt werden. Silke und Alexander von Berswordt-Wallrabe, vormalig Galeristen und Sammlerpaar aus Bochum, haben aus Werken ihrer Sammlung eine Ausstellung zusammengestellt, die den Wandel des künstlerischen Blicks auf die Landschaft beleuchtet. Sie tut dies auf differenzierte Weise und mit einer beeindruckenden Bilderauswahl. Ob der schmale Streifen eines Ackerrandes (Simone Nieweg, 2004) oder das Panorama der San Francisco Bay (Richard Misrach, 1997), ob New York bei Nacht (Berenice Abbott, 1932) oder ein Atombombentest (3. August 1946), Schnee in Paris (André Kertész, 1926), Smog über Los Angeles (Margaret Bourke-White, 1950er Jahre), der Himmel über Dublin (Evelyn Hofer, 1996) oder der beiläufige Blick auf herbstlich bewegte Blätter, Stromleitungen und vorbeiziehende Wolken (Wolfgang Tillmans, 1999) – die Bilder der Welt haben sich der gewandelten Wirklichkeit und deren Referenzrahmen angepasst.
Ingeborg Lüschers Dreikanal-Videoprojektion »The Game is Over« (2003–2007) führt vor Augen, dass Landschaft heute eigentlich nur noch vor dem Horizont ihrer Gefährdung denkbar ist. Bilder von landschaftlicher Schönheit und Unversehrtheit schieben sich in der Über-Eck-Projektion übereinander, werden zusammenmontiert, um gleich darauf von laut ratternden, vorbeirollenden Panzern gestört zu werden. Der Sehnsuchtsort Natur ist nachhaltig gestört.
Aufschlussreich ist zu sehen, auf welch unterschiedliche Weise Künstlerinnen und Künstler im 20. und 21. Jahrhundert Natur, Landschaft und unsere urbane Lebenswirklichkeit reflektieren. Denn in der Fotografie gehe es nicht »um die Verdoppelung des Motivs«, wie der amerikanische Fotograf des »Neuen Sehens«, Walker Evans, es ausgedrückt hat, sondern darum, »eine persönliche Sichtweise zu formulieren, die auch das Verhältnis des Fotografen zur Welt zeigt.«
Bis 21.11.2010, Situation Kunst für Max Imdahl, Nevelstr. 29c, 44795 Bochum-Weitmar. www.situation-kunst.de