TEXT: ALEXANDRA WACH
In dieses Foto darf man sich getrost vertiefen: Der Blick des kleinen Mädchens, das sich eine Pause auf einem Rasen gönnt, hypnotisiert. Ihre Augenbrauen sind stark übermalt, der eng anliegende Kimono zwingt sie in eine Pose. Die kaiserliche Hoheit in ihr straft den Betrachter mit stolzem Desinteresse. Issei Sudas Schwarz-Weiß-Aufnahme von 1975 entführt in das Paralleluniversum ländlicher japanischer Volksfeste, der sogenannten »Matsuri«. Die Anstrengung des Kindes, der Rolle, die ihm das Festkleid zuweist, gerecht zu werden, entgeht dem Fotografen nicht. Mit Inszenierungen kennt er sich aus. Es geht ihm dabei nicht etwa um Nostalgie. Kirschblüten und Vulkanspitzen sucht man in seinen Arbeiten vergebens. Umso mehr fallen die Anleihen an die Tradition des japanischen Theaters ins Auge.
Nach einem Studium der Fotografie dokumentierte Suda seit 1967 die Aufführungen der legendären Avantgarde-Truppe »Tenjo Sajiki«. Sie verband Elemente der Sozialkritik, Folklore und ins Groteske übersteigerter Erotik zu provokativen Bühnenexperimenten. Unter dem Einfluss ihres Leiters Shūji Terayama beschäftigte er sich mit dem Traktat »Fûshi Kaden« aus dem 15. Jahrhundert. Zeami Motokiyo, der berühmte Meister des Nō-Theaters, vergleicht darin die Verwandlung einer Blüte zur reifen Schönheit mit dem Prozess der Kreativität, der auf Wiederholung des Bekannten aufbaue und durch neue Ideen vorangetrieben werde.
»Fûshi Kaden« heißt auch das Hauptwerk des heute 73-jährigen Suda. Es erschien 1978 und wurde 2012 neu aufgelegt. Der Titel seiner inzwischen zweiten Soloschau bei Priska Pasquer übersetzt den Bildbandklassiker mit: »The Transmission of the Flower or Acting Style«. Tatsächlich ist das auftretende Personal zum Schauspielern aufgelegt. Suda konfrontiert Grazien in traditioneller Kleidung mit Hausfrauen, deren herausfordernder Blick das biedere Äußere wie ein irrtümlich ausgewähltes Kostüm erscheinen lässt. Geschminkte Jünglinge führen ihre Modekreationen vor, während zwei über jede Verweiblichung erhabene Gleichaltrige in Uniformen stecken, die aus dem Vorkriegsjapan stammen könnten. In anderen Szenerien kriechen Schlangen Holzwände hoch und verwandeln das Haus in eine Falle. Minimale Abweichungen, die einen Hauch von Unwirklichkeit in sich tragen, gehen bei Suda mit der Ernüchterung einer strengen Ästhetik einher. Mitunter mündet sie in optische Grübelei, wenn eine Großaufnahme von Fingern, die durch dunkles Kopfhaar greifen und dabei ein Eigenleben entwickeln, das wahrheitsverliebte Medium an seine Grenze führt.
Dem Wettlauf mit der Zeit stellt sich Suda erst gar nicht. Wenn nichts Bestand hat, dann darf das Spiel mit den Metamorphosen des Alltags erst recht ruhig angegangen werden. Die von ihm bevorzugte Mittelformatkamera verbietet ohnehin eine allzu gehetzte Straßenfotografie. Kein Motiv gerät zufällig vor seine Linse, wie der zwischen Betonwänden gedeihende Baum, der dem Schattentheater hinter ihm den Part der Auflehnung überlässt. Während sich das Licht an der Wand abarbeitet, verweilen seine am Wachstum gehinderten Äste im Moment. Ähnlich den Fischen, die in Plastiksäcken schwimmen und die Welt hinter der Folie bestaunen, als freuten sie sich auf das Rendezvous mit ihrem Henker.
Was Suda sieht, ist getragen von der Betonung des Hier und Jetzt, sein Blick ist sachlich und zugleich bizarr. Er schaut auf das moderne Japan wie ein Astronaut, der im früheren Leben Teil dieser eigenwilligen Population war. Er liebt die humorvolle Pointe, auch wenn ihm der Sinn abhanden gekommen ist. Die Abwesenheit von Sinn lässt ihn aber nicht verstummen. Sie macht ihn frei und hellwach für die Kapriolen des gut vorbereiteten Augenblicks.
Galerie Priska Pasquer, Bis 29. Juni 2013. Tel.: 0221/9526313. www.priskapasquer.de