KÜNSTLER MIT KETTENSÄGE: MIRKO TSCHAUNER
Vorbei am Lager mit Transportpaletten, dann die Waschstraße links liegen gelassen. Hier muss es sein. Und da steht er auch schon – allerdings zweifelt man einen Moment. Vielleicht gehört der junge Mann mit gelben Gummistiefeln, zerrissenem Karohemd und verstaubter Frisur doch eher zum Gerüstbau-Betrieb nebenan? Nein, er streckt schon die Hand zum Schütteln aus. Es ist Mirko Tschauner, offensichtlich etwas erschöpft. Kein Wunder, schließlich hat er die Monster-Kettensäge eben erst beiseite gelegt
Der Künstler kämpft sich gerade durch mehrere Meter Pflastersteine. »Eine martialische Arbeit«, wie er mit leiser Stimme anmerkt. Denn das Material sei eigentlich nicht zum Zersägen gedacht. Aber es hilft nichts, er muss da durch. Denn Tschauner will aus dem robusten Bodenbelag eine dreieckige Säule bauen – im Schleifschlamm vor dem Atelier nehmen ihre Einzelteile bereits Formen an.
Trotz aller Widrigkeiten bei der Verarbeitung gehören die Pflastersteine in Knochenform zu den liebsten Materialien des Bildhauers, der die Komponenten seiner Kunst auch sonst bevorzugt aus dem Baustoffhandel bezieht: Terrazzo, Waschbeton… »Die Oberflächen des täglichen Lebens«, wie er es nennt. Zum Faible fürs Grobe passt das Atelier inmitten des Kleingewerbegebiets im Kölner Norden. Tschauner hat sich die Fertighalle aus Stahl auf ein gepachtetes Grundstückchen gesetzt. Weil drinnen nicht viel Platz ist, lagern einige vollendete Arbeiten draußen und vermitteln dort einen guten Eindruck davon, wie sich die Allerwelt-Standards aus dem Baugewerbe unter Tschauners Händen in etwas Neues, Eigenes verwandeln.
Spielerisch legt sich da ein Stück gepflasterte Fläche in Falten. Fast elegant wirkt daneben das trichterartige Konstrukt aus Marmorplatten, arrangiert auf einem Gestell aus Monier-Eisen. Viel massiver dagegen die Arbeit namens »Captain«, geschaffen aus einem echten Stück Straße, das Tschauner an einer Baustelle entdeckt, per Pick-Up ins Atelier verfrachtet und dort mit einem Betonsockel versehen hat.
»Es gibt immer wieder Leute, die mich als abstrakten Bildhauer bezeichnen«, erzählt er. Das treffe aber überhaupt nicht zu. Als was sieht er sich dann? »Ich nenne es materialbezogenen Realismus«. Allein durch die Materialwahl seien seine Arbeiten realistisch, so der Künstler. Alles Artifizielle liege ihnen fern – da hat er sicher Recht.
Bei dem 40-Jährigen kommt Einiges zusammen: Der gelernte Steinmetz und der bei Hubert Kiecol an der Düsseldorfer Akademie geschulte Künstler. Der Bildhauer, der aufgeht in seiner schweren Handarbeit, der in derben, ›unkünstlerischen‹ Materialien schwelgt, dabei sehr sensibel und reflektiert, › künstlerisch‹, mit ihnen umzugehen weiß. Der in seinem selbstgeschaffenen Reich in der Fertighalle mit Pick-Up vor der Tür und Kettensäge in der Hand – dem Kunstbetrieb entrückt, wie es scheint – seine Arbeit tut. Der typische Karrierekünstler ist Tschauner gewiss nicht.
Nach dem Studium 2004 habe er erst einmal hier und da ausgestellt, dabei einige schlechte Erfahrungen mit Galerien sammeln müssen. »Ich war schon drauf und dran, es allein zu versuchen«. Nach vier Jahren Durststrecke sei er dann durch einen glücklichen Zufall mit dem Münchner Galeristen Matthias Jahn zusammengekommen.
Der präsentiert Tschauner nun auch als »New Position« auf der Art Cologne – für den Künstler »ein Riesending«, das er seit Wochen vorbereitet. Auch die dreieckige Säule aus Pflastersteinen soll in die Koje – es wartet also noch jede Menge Arbeit mit der Kettensäge.
SIE WAR EINMAL FOTOGRAFIN: ANNA VOGEL
»Ich musste mal raus aus der Stadt, weg von der Akademie«. Das Fernweh trieb Anna Vogel vor zwei Jahren mit dem Rucksack 2000 Meter in die Höhe. Monatelang jobbte sie auf einer Schutzhütte in den Alpen – allein unter lauter Bergfreaks. Davon zeugt ein freundliches Foto auf dem Tisch im Düsseldorfer Hinterhof-Atelier. Es zeigt die junge Künstlerin mit frischem Lächeln in sonniger Gebirgslandschaft. »Ich glaube, der Hüttenchef hat es gemacht.« Als künstlerische Zugaben klebte Vogel sich zwei blaue Kreise auf den Körper.
Öffentlich gezeigt hat sie das Bild bisher nicht: »zu persönlich. Finden Sie nicht?« Doch, man kann ihre Bedenken gut nachvollziehen. Wie ein Fremdkörper wirkt die Arbeit unter all den anderen auf dem Tisch: Wälder unter Löschkalk-Wolken, Collagen aus Fotoschnipseln, Kopien von Kopien von Kopien, auf denen fast nichts mehr zu erkennen ist… Was die 31-Jährige da ausgebreitet hat, gleicht einem Querschnitt durch ihr aktuelles Werk. Und es hat sehr wohl seinen Grund, dass Vogel das adrette Porträt aus den Alpen dazwischen gelegt hat. Vollzog sich damals doch ein prägender Wandel im Werk.
Denn als sie im Herbst wieder hinabstieg aus den Bergen, hatte sie zwar jede Menge Bilder im Gepäck, doch wusste sie für ihre Kunst schwer etwas damit anzufangen. »Der Abstand zum Motiv fehlte mir«, erklärt sie. Vogel begann im Internet nach »Stellvertretern« zu suchen. Gebirgsbilder mit allgemeingültigen Qualitäten, die eine Art Sehnsuchtsmotiv vor Augen führen und für die Künstlerin – mit dem nötigen Abstand – zum Ausgangsmaterial für allerhand Eingriffe werden konnten. Sie beklebt die Fotos, besprüht sie mit Farbe, arbeitet Verwischungen ein. Immer wieder geht es ihr dabei um das Verschwinden von Erinnerung.
Vogel war einmal Fotografin. Eine Bezeichnung, die sie heute nicht mehr gelten ließe. Mit gutem Grund. Auf dem Atelier-Fußboden steht Farbe in Sprühdosen. In den Schubladen des Grafikschranks sammeln sich alle möglichen Schnipsel zur Weiterverwendung in Collagen. Und in ein paar Tagen will die Künstlerin zu ihren Eltern fahren, in der Werkstatt des Vaters erstmals Objekte aus Pappelholz schreinern. Fotografie bleibt ein wesentliches Medium für sie. Doch hat Vogel ihr Repertoire inzwischen beträchtlich erweitert.
Beihilfe zum Ausbruch aus der Fotografie hat nicht zuletzt Andreas Gursky geleistet, in dessen Klasse für Freie Kunst Vogel die letzten beiden Semester an der Düsseldorfer Akademie verbrachte. Begonnen hatte sie bei Thomas Ruff. Es folgte Christopher Williams als Professor, der seinen Schülern die eigenen konzeptuellen Denkmodelle nahe brachte. Auch kein befriedigender Weg für Vogel.
Bei Gursky schließlich geriet sie in ein ganz anderes Umfeld, wo alle Medien sich unter dem Mantel der »Freien Kunst« mischten. Der Arbeit allein mit Computer und Drucker leid, genoss es Vogel, in ihrem Atelier nun erstmals Staub, Schmutz, Farben um sich zu haben.
Reichlich davon wird nun auch bei den Vorbereitungen des Art-Cologne-Auftritts anfallen. Denn die Künstlerin will nicht bloß Bilder aufhängen. Sie hat die Koje als Ganzes im Auge, gestaltet den Raum mit Lamellen aus Masonit und den in der väterlichen Werkstatt gearbeiteten Wandobjekten aus Holz – nach Möglichkeit sollen sie noch mit Fotos bedruckt werden. Dass die Planungen sechs Wochen vor Messe-Start eher vage scheinen, bereitet Vogel offenbar kaum Sorge. Sie arbeite immer ziemlich kurzfristig. Der Erfolg verlangt das wohl.
Für Vogel ging er just mit dem Ende des Studiums richtig los. Die Düsseldorfer Galerie Conrads entdeckte sie auf dem Akademie-Rundgang 2012. Etwa zur gleichen Zeit konnte die Künstlerin sich auf einer vielbeachteten Gruppenausstellung im NRW-Forum präsentieren. Hinzu kam der Förderpreis Bildende Kunst der Landeshauptstadt Düsseldorf. Künstler sein – für Vogel inzwischen ein echter Mega-Job. Für alpine Aufstiege und Ausbrüche wird Vogel in Zukunft sicher weniger Zeit bleiben.
RAUMKUNST UND KUNSTRÄUME: ERIKA HOCK
Gefaltet, nicht geschnitten. Eine winzige Abweichung in den Kurven trennt die flachen Bodenskulpturen von den berühmten Kupferplatten des amerikanischen Minimalisten Carl Andre. Durchsetzt mit Messingabschnitten und einer freien Innenfläche scheinen die Dreieckspfade weniger dazu geeignet, lustvoll begangen zu werden. Ob es daran liegt, dass die Schleifen keinen Ausgang bieten? In der weitgestreckten Architektur der Düsseldorfer Galerie Cosar HMT schaffen sie allemal Inseln ornamentaler Verwirrung. Mit beherztem Betreten kommt man ihnen vielleicht doch noch auf den Grund, oder gleich ins Netz des aus unzähligen Holzringen geknüpften Wandbehangs gegenüber. Der Nachmittag ist ja noch lang.
Erika Hock, große Rehaugen, zierlich, schwarze Kleidung, gesellt sich verspätet dazu. Wenn man die mit Preisen überschüttete Jungbildhauerin nicht begrüßen würde, hätte man ihr beim Abbau einer Außenskulptur helfen können. Spielraum für Verzögerungen hatte sie eigentlich nicht. Die Absolventin der Düsseldorfer Akademie ist auf der Durchreise nach Brüssel, ihrem neuen Wohnort, der sich einem belgischen Atelier-Stipendium verdankt. Hock lacht: »Eine bunt gemischte chaotische Stadt, mitten in der Mitte Europas, die wahnsinnig interessante Orte bereit hält. Ich meine natürlich Räume«.
Damit ist das Stichwort, um das sich Hocks Kunst dreht, gefallen. Wenn sie nicht zur Tat schreitet und ihrem ausführenden Handwerker die fertigen Konzepte aus ihrem Ideenarchiv vorstellt, bastelt sie mit 3-D-Programmen an räumlichen Varianten, studiert Kataloge und liest Architekturklassiker. Die jeweilige Situation vor Ort ist Teil ihrer Überlegungen und wird auf einer mit Spots, Raumteilern, Verhüllungen und selbst entworfenen Displays inszenierten Metabühne effektvoll durchdekliniert. Nicht selten verweisen bereits Titel wie »Pavillon und Baldachin« auf das Spiel mit Ausstellungskonventionen und ganz nebenbei auch auf einen Gebäudetyp, den man sowohl mit der Gartengeschichte als auch mit den Weltausstellungen und einem Titanen wie Mies van der Rohe assoziiert.
»Ich erreiche nie den Punkt zu glauben, dass eine Arbeit fertig ist«, erzählt Hock. »Es geht mir immer um die Vielzahl an Möglichkeiten und kleinen Funktionsverschiebungen, die sich in den Modellen spiegelt. Das Nachdenken darüber, was Architektur sein kann, ist die Wurzel dieser Objekte. Für das letzte große Projekt im Jacobigarten des Düsseldorfer Malkastens ging es etwa um das Temporäre einer Kinosituation. Die geplante Figur sollte weder geschlossen, noch offen sein. Ausgehend von einem Filmstreifen habe ich deshalb damit experimentiert, eine Fläche zu wenden und zu falten, damit der Blick der Zuschauer immer frei bleibt«.
Das Ergebnis war eine dem Schneckenhaus verwandte Spiralform aus Holz, die sich an typische Bauweisen der Moderne anlehnte. Für ihr »Pavillon of Moving Images« stellte Hock gemeinsam mit dem Kurator Philipp Fürnkäs ein Filmprogramm mit Werken anderer Künstler zusammen, die öffentlich aufgeführt wurden. Kollaboration ist ein wesentlicher Aspekt ihres Ansatzes, das sich wohl aus ihren Erfahrungen als Migrantenkind speist. Geboren 1981 in Kirgisistan, gehört sie der Minderheit der Wolgadeutschen an, die unter Stalin nach Sibirien und Zentralasien deportiert wurden. Kurz nach dem Mauerfall kam sie mit ihren Eltern nach Norddeutschland. »Dadurch, dass ich in einer Community und einer Art Diaspora aufgewachsen bin, wird mir der soziale Gedanke in meiner Arbeit inzwischen immer wichtiger. Die Architektur soll bei mir vor allem einem Kommunikationsaustausch dienen. Die Kindheit selbst kommt mir weit weg vor, aber dieser Teil meines Lebens hat mich sicherlich geprägt. Ich bin auf dem Land aufgewachsen und kannte nur sozialistische Architektur. Als ich mit zehn Jahren Berlin gesehen habe, war das für mich ein visueller Overkill. Damals war der Unterschied zwischen Westen und Osten noch sehr stark spürbar. Das Interesse an der westlichen Moderne verdankt sich sicherlich dieser Herkunft. Das gilt auch für die nomadischen Strukturen. Der Pavillon ist immerhin eine Architektur, die man mit sich tragen kann. Ein perfekter Transitraum«.
Mirko Tschauner wird bei der Art Cologne von Matthias Jahn, München, präsentiert.
Die Galerie Conrads, Düsseldorf, zeigt Anna Vogel.
Erika Hock richtet ihre Koje am Stand der Düsseldorfer Galerie Cosar HMT ein.
19. April bis Montag, 22. April 2013 http://www.artcologne.de/de