// Alles von Aldi. Ein Stillleben der anderen Art. Eine putzt sich die Zähne, einer bohrt in der Nase, eine spielt mit dem Gameboy, einer telefoniert, einer steuert seinen Plastik-Dino fern, einer sitzt im Rollstuhl und stiert vor sich hin, Mama wienert die Fensterscheiben und so weiter. In Breitwandformat präsentiert sich das Gruppenbild einer Familie von Schmalspurganoven. Wir sehen in dem guten Dutzend scharf umrissener Typen »Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen«, über die der Italiener Ettore Scola 1976 im Nachklang auf den Neorealismus einen Spielfilm drehte. Die Kölner Schauspiel-Intendantin Karin Beier, deren künstlerische Leistungskraft in umgekehrtem Verhältnis zu den ihr auferlegten kommunalpolitischen Lasten steht, inszeniert in der Halle Kalk die für sie »bemerkenswert mitleidslose Komödie« wie einen Stummfilm mit Musik, Geräuschen und einigen Sprachfetzen, die durch die Frontfassade des Wohncontainers klingen und nur laut werden, wenn sich die Bewohner vor die Tür begeben oder aufs Flachdach steigen.
Was zunächst als hübsche Idee für die Ouvertüre herhalten könnte, bevor das Stück richtig losgeht, zieht die Aufführung zwei Stunden lang durch – und man vermisst nichts. Die Ansichtssache entwickelt einen eigenen Sog, erlaubt und verlangt genaueste Aufmerksamkeit, ohne dass der Zuschauer schamrot werden und sich als Voyeur missbraucht fühlen müsste. Beiers Methode erinnert an einen anderen Scola-Film, an »Le Bal« von 1983, den er als ausschließlich musikalisches Capriccio in Szenen aus einem Tanzpalast erzählt.
Es ist ein vom Materiellen okkupiertes Unterschichten-Leben ohne Überbau – gedimmt von Ramsch, technischem Firlefanz, Alkohol und der Glotze und auf Thomas Dreißigackers Schaukastenbühne von links (Toilette) bis rechts (Badewanne und Austritt) auf deutsche Hartz IV-Verhältnisse und den Kampf einer gegen alle um die bar ausgezahlte Rente angepasst. Doch war schon im italienischen Original nichts übrig vom vitalen Heroismus, mit dem etwa Pasolini noch das Subproletariat zur mythischen Klasse aufbaute und eine katholisch-kommunistische Restutopie bewahrte.
Das Leben und nichts als das Leben veranstaltet seine Privat-Peep-show – elend, dösig, vulgär. Die Zeit vergeht im debilen Dämmern und mit verhaltensauffälligem Zank, Eifersüchteleien, erotischen Offerten und Rammelei, Macho-Gehabe, Grobianismus (nicht nur seitens des Familienoberhauptes – Markus John) und Keilerei, mit gegenseitigem Berauben und Belauern. Doch der große Stumpfsinn atmet Trauer, Sehnsucht, Rebellion, so dass einem ganz anders wird ums Herz: wenn Susanne Barth ins Leere starrt, Michael Wittenborn im Rollstuhl nach einer Zigarette nölt, Julia Wieninger jede Hoffnung auf Entkommen begräbt und Christoph Luser sich zur Transe aufputzt, sich fortträumt und in seiner herausfordernden Maske – und mit ein paar vorgetragenen Dialogen aus Tschechows »Onkel Wanja« – das Recht auf ein Gegenleben zur Langeweile und Gewöhnlichkeit postuliert.
Kurz klingt ein feierlich getragenes »Miserere« in die Schäbigkeit der vergifteten Atmosphäre, und die Streisand singt strahlend »Some day my love will come«: Momente, die den Vorhang aufziehen zu einer Möglichkeit jenseits der Wirklichkeit und der nackten Tatsachen, die am Ende zum Bild einfrieren, das fort und fort dauern wird. // AWI