Zum Negativwort des Jahres 2022 hat es »Freiheit« geschafft, nicht wegen seiner ihm inne wohnenden Bedeutung, vielmehr auf Grund des Missbrauchs, der mit dem Begriff getrieben wird. Friedrich Schiller, der Dichter und Geschichtsphilosoph, idealistische Dramatiker und Freiheits-Pathetiker, stimmt in seinem »Wilhelm Tell« dieses Lied an: »Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der Knechtschaft leben.« Tyrannenmord als moralische Tat, als »das Notwendige und Rechtliche der Selbsthilfe«, so sagt der Tell. Es ist das Gebot unserer Tage, dass wir – wie lange Zeit – nicht zunächst an den Mann aus Braunau am Inn denken bei dieser Rechtfertigungsrede, sondern jemand anderen als Verkörperung des Bösen, ganz und gar Ungesitteten und gegen göttliches und menschliches Gesetz Verstossenden im Sinn haben.
Olaf Altmanns Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt deutlich geschiedene Welten: Unter Tage die Gebückten und Bedrückten Schweizer, die sich nach der Decke ducken müssen und in der darüber liegenden Beletage die Habsburger Luxus-Herrschaften. In der »hohlen Gasse«, bei der es hier interessanterweise beinahe zum Zwiegespräch der zwei Antagonisten kommt, ist der Tell obenauf, während der Fronvogt Gessler unter ihm steht – die Sphäre rollt.
So schematisch bleiben die schmal geschnittenen zwei Stunden: dekorativ arrangiert mit einem Rütlischwur als Hängepartie in den Bühnenlüften und Taschenlampen-Ballett, ohne Gedankenblitz und ohne den historischen Freiheitskrieg mit Blick auf den europäischen Krieg 2022/23 zu reflektieren. »Es bringt die Zeit ein anderes Gesetz«, heißt es bei Schiller – und dies sei »unveräußerlich«. Ja, und? Position, bitte! Das Düsseldorfer Inszenierungs-Design ist nur zu werten als Spielplan-Finte.
Traumspiel vom Sieg des Guten
Figürlich hübsch konfektioniert gestalten sich ein girlandenhaft gezierter Rudenz (Kilian Ponert), eine kühne und kühle Garconne als Stauffacherin (Sonja Beißwenger), Gessler (Heiko Raulin) als frivoler Lustmensch und Spielernatur in goldfarbenen Beinkleidern – und Florian Lange, der den Armbrustschützen als braven Gesellen von angewandter Redlichkeit und – sehr angenehm – ohne Anteil von triumphalem Heroismus spielt. Schillers herzstärkendes Weihefest kennt ja den Zweifel nicht, der seinen »Wallenstein« oder auch die »Maria Stuart« durchatmet. »Tell« ist (so wie sein Außenseiter-Titelheld ein Solitär) ein sagenhaftes Traumspiel vom Sieg des Guten. In Düsseldorf macht allein die dröhnende, trommelnde, rockig verquälte Musik eines Trios, das wie ein Antifa-Kollektiv klingt, einen Strich durch die Rechnung.
Das reicht nicht für Schillers populärstes Stück, darin eben Volkes Stimme sich erhebt. Es bedarf der Aufladung, bedarf der Haltung und nicht eines theatralen Effekts, mit dem der in Zürich geborene Regisseur Roger Vontobel es endigen lässt, indem er das ‚Volk’ halb verblutend niedergesunken, halb bluthündisch aufrecht chorisch skandierend aufreiht. Und dies in einer Woche, da Alice Schwarzer und Sara Wagenknecht in seltener Eintracht einen Aufruf lancierten, der auf die Forderung ‚Die Waffen nieder’ an die Ukraine hinausläuft. Herz und Mund und Tat und Leben sind gefordert. Da kann es doch nicht alles sein, was diesem genügsamen »Wilhelm Tell« dazu am Jahrestag Februar 2023 einfällt, da die Ukraine ums Überleben kämpft.
Termine: 18. und 25. Februar, 4., 12., 29. März, Schauspielhaus