Es ist wohl der höchste Wert, den unsere Gesellschaft kennt: die Freiheit. In diesen Zeiten der globalen Krisen, des Klima- und des digitalen Wandels und der Pandemie können und müssen wir diesen Begriff neu definieren. Was die Judikative betrifft, hat das Bundesverfassungsgericht in diesem Jahr beispielsweise den Klimaschutz zum Teil der Freiheitspolitik erklärt. Das klingt dann so: »Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen.« Was die Kunst zum Thema Freiheit zu sagen hat, demonstrieren die RuhrBühnen in einem gemeinsamen Theater-Projekt unter dem Titel »Zehn X Freiheit«. Zehn Bühnen – vom Schlosstheater Moers bis zum Theater Dortmund – zeigen am 30. und 31. Oktober Uraufführungen oder Premieren, die Zuschauenden wählen vier Produktionen aus und sehen jeweils zwei an einem Tag.
Die Begriffe Theater und Freiheit führen schnell zu Friedrich Schiller. Und der ist bei der Zehnerrunde auch dabei: Das Schlosstheater Moers nimmt sich dessen recht unbekanntes Dramenfragment »Die Polizey« vor. Das Schauspielhaus Bochum und das Theater Dortmund haben sich für Romanadaptionen entschieden: Oliver Frljić inszeniert »Schande« nach J. M. Coetzee, Dortmunds Intendantin Julia Wissert fragt mit Annie Ernaux’ leiser Selbstbetrachtung »Der Platz« nach den Themen Herkunft und Klasse. Bashar Al Murabea floh 2015 aus seiner Heimat Syrien und kam nach Duisburg. Eben darüber, über die Geschichte einer Flucht, hat er ein Stück geschrieben. »Im Kreis der Sterne« wird am Theater Duisburg inszeniert.
»Arbeiterinnen / Pracujaçe kobiety« nimmt sechs Lebensgeschichten von Frauen in Polen und Deutschland in den Blick. Das dokumentarische (Film)Porträt von werkgruppe2 – ursprünglich als Inszenierung geplant – feierte bei den diesjährigen Ruhrfestspielen Premiere und wird jetzt im Schauspiel Essen gezeigt. Autor Akın Emanuel Şipal hat für den Oberhausener Intendanten Florian Fiedler ein Auftragswerk geschrieben: »Kohlenstaub und Bühnennebel« – über die Geschichte des Theaters vor dem Hintergrund der Geschichte des Ruhrgebiets der letzten 100 Jahre, ein Genre zwischen Ruhrgebietskomödie und Diskurssatire, wie es der Autor selbst beschreibt.
Philipp Preuss verzahnt am Mülheimer Theater an der Ruhr Lars von Triers Filme »Europa« und »Epidemic« mit Charlotte Beradts Textsammlung »Das Dritte Reich des Traums«. Angekündigt ist eine albtraumhafte Befragung unserer Gegenwart. Und mitten hinein ins 21. Jahrhundert: Die Gruppe Laokoon aus Berlin, die sich künstlerisch mit Datenexperimenten auseinandersetzt, geht in einer Lecture-Performance bei PACT Zollverein Fragen der individuellen Freiheit nach: Welchen Einfluss hat der Mythos der Vorhersehbarkeit auf unser Verhalten? Ein Recherche-Einblick inklusive Live-Datenexperiment.
Auch im Tanz ist Freiheit immer wieder ein zentrales Thema. Konkret beschäftigen sich bei »Zehn X Freiheit« das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier und der Mülheimer Ringlokschuppen damit. Roy Assaf und Liliana Barros nähern sich in »Adam & Eve« dem ersten Paar der Menschheitsgeschichte an und lassen im MiR Paradies und Hölle verschwimmen. Was die Freiheit bedeutet, uns immer wieder in neuer Gestalt zu erfinden, untersucht die CocoonDance Company in Mülheim. Sie bittet zum »Standard«-Tanz.
»Zehn X Freiheit«, 30. und 31. Oktober, www.ruhrbuehnen.de