TEXT: KARL-HEINZ HEINEMANN
Weil das freiheitlichste, wissenschafts- und unternehmensfreundlichste Hochschulgesetz Deutschlands, das seinerzeit von FDP-Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart geschaffene »Hochschulfreiheitsgesetz«, von Rot-Grün ersetzt werden soll, wird von Uni-Seite in offenen Briefen der Untergang der Hochschulautonomie und der Rückzug privater Drittmittelgeber aus den Hochschulen beschworen. Bürokratische Gängelung, sozialistische Planwirtschaft und programmierte In-effizienz sollten zur Richtschnur werden. Die Universitäten treten in Streik: Sie verweigern sich weiteren Leistungsvereinbarungen mit der Landesregierung – es entsteht der Eindruck, dass SPD-Wissenschaftsministerin Svenja Schulzes Gesetzesentwurf auf eine geschlossene Front der Ablehnung stößt, weil die heile Hochschulwelt auf den Kopf gestellt werden soll.
Das »Hochschulfreiheitsgesetz« sollte die »unternehmerische Hochschule« schaffen, ein Leitbild aus dem Bertelsmann-Think-Tank CHE. Das bedeutet: Hochschulen sollen wie Unternehmen geführt werden. Mit einer starken Leitung und wenig Kontrollmöglichkeiten durch die Hochschul-Community. Stattdessen wurde der Hochschulrat als Kontrollgremium eingesetzt. Er besteht zur einen Hälfte aus externen Vertretern von Wirtschaft und öffentlichem Leben, zur anderen aus Hochschulangehörigen und fungiert analog zu einem Aufsichtsrat als oberstes Kontrollgremium. Er setzt die Hochschulleitung ein und ist deren oberster Dienstherr, nicht mehr das Ministerium. Auch deren Gehälter kann er festsetzen. Die sind üppig, gemessen an den Einkommen im öffentlichen Dienst und den Hochschulangehörigen, die sich kein Zubrot in der Wirtschaft verdienen können. Hochschulrektoren rutschten gegenüber ihrer bisherigen Bezahlung nach dem Besoldungsgesetz um fünf Gehaltsstufen hoch und bekommen zwischen 130.000 und 160.000 Euro im Jahr. Für die Wirtschaftsvertreter in den Hochschulräten sind das ziemlich normale Dimensionen – auch in diesem Punkt wird die Hochschule »unternehmerisch«. Hochschulen bewirtschaften ihre Mittel selbst, neben den staatlichen Zuweisungen war an Studiengebühren und Einnahmen aus der Drittmittelforschung gedacht. Die Studiengebühren sind ja mittlerweile weggefallen.
Was blieb: Die Hochschulen sind zwar öffentlich finanzierte Einrichtungen, aber sie spielen Unternehmen. Tatsächlich gibt es keinen funktionierenden Markt, auf dem sie ihre »Produkte«, also Ausbildungs- und Forschungsleistungen verkaufen könnten. Und sie operieren in öffentlichem Auftrag mit Staatsgeldern.
Künftig nun will die Landesregierung wieder stärker auf die Entwicklung der Hochschullandschaft Einfluss nehmen. Ihr Argument: Da sie das Geld gibt, will sie auch dafür sorgen, dass das Angebot an Studienplätzen und Forschungsleistungen den Bedürfnissen des Landes, seiner Arbeitnehmer und Unternehmen entspricht. Erst müssen die doppelten Abiturjahrgänge untergebracht werden, doch langfristig würden weniger Studienplätze gebraucht. Der Qualifikationsbedarf am Arbeitsmarkt müsse berücksichtigt werden, und das heißt: Umschichtung zugunsten der Fachhochschulen und Öffnung der Hochschulen für Berufstätige. Ein Landeshochschulentwicklungsplan soll entstehen, der vom Parlament beschlossen wird und an dem sich die Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen orientieren, etwas, was es auch schon im Hochschulfreiheitsgesetz als Steuerungsinstrument gab.
Doch an den internen Hochschulstrukturen will das neue Gesetz wenig ändern: Es bleibt bei der starken Stellung des Hochschulpräsidiums. Zwar soll künftig der akademische Senat paritätisch an der Wahl des Präsidiums neben dem Hochschulrat beteiligt sein, aber damit ändert sich eigentlich nichts, denn bisher sitzen im Hochschulrat zur Hälfte Hochschulvertreter, die sind dort künftig nicht mehr. Der Hochschulratsvorsitzende kann weiter der Dienstvorgesetzte des Präsidenten/Rektors sein, wenn das Ministerium ihm diese Aufgabe überträgt.
Rektoren und Hochschulräte kritisieren, dass Svenja Schulze sich die Möglichkeit zur Detailsteuerung schaffen wolle. Tatsächlich kann das Ministerium bereits mithilfe des geltenden Gesetzes jederzeit mit Verwaltungsvorschriften in die Wirtschaftsführung der Hochschulen eingreifen. An deren Stelle sollen nun Rechtsverordnungen treten, also ein rechtsstaatlich überprüfbarer Akt.
Die Rektoren und Hochschulräte stören sich auch daran, dass künftig mehr Transparenz bei Drittmittelaufträgen geschaffen werden soll: Inhaltlich solle die Forschung friedlichen Zwecken dienen, und die Öffentlichkeit solle »in geeigneter Weise« über Forschungsvorhaben – auch mit Drittmitteln – unterrichtet werden. Frieden als Ziel, das sei erstens ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit, und zweitens würden bei Offenlegung alle Drittmittel aus dem Hochschulen abgezogen werden, weil Unternehmen sich nicht in ihre Karten schauen lassen wollten – so die Kritik. Eine leere Drohung: Selbst an der drittmittelstarken Aachener TU kommen nur 20 Prozent dieser Gelder aus der Privatwirtschaft, die meisten Drittmittel von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, von Stiftungen oder anderen öffentlichen Auftraggebern – und deren Verwendung muss ohnehin offengelegt werden.
Der Gesetzentwurf aus dem Hause Schulze ist also alles andere als eine Kehrtwende gegenüber dem »Hochschulfreiheitsgesetz«. Ja, die Landesregierung traut sich letztlich nicht, dem Geist der »Vermarktwirtschaftlichung« der Wissenschaft eine eigene Idee von einer demokratisch verfassten und der Öffentlichkeit verantwortlichen Hochschule entgegenzusetzen. Und so gibt es auch Kritik von ›links‹ am Entwurf: Die Gewerkschaften fordern zum Beispiel, dass die in der Hochschule Beschäftigten wieder Landesbedienstete werden müssten. Das würde ihre Mitbestimmungsrechte stärken und ihre Sicherheit – etwa bei der Auflösung oder dem Konkurs einer Hochschule – erhöhen. Bärbel Rompeltien, Hochschulratsvorsitzende der Hochschule Hamm-Lippstadt, hat nichts gegen eine Landeshochschulplanung einzuwenden. Nur – die dürfe man nicht dem Ministerium überlassen. Warum setze nicht der Landtag dafür eine unabhängige Expertenkommission ein?
»Wir brauchen verbindliche Regelungen für faire Beschäftigungsbedingungen und berechenbare Karrierewege in der Wissenschaft«, fordert etwa die GEW. 80 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten mit Fristverträgen, die vielen Teilzeitbeschäftigten leisten in der Regel unbezahlte Überstunden. Denn sie haben die Zusatzarbeit zu tragen, die durch die starken Abiturjahrgänge auf die Hochschulen zukommen, und nicht die Rektoren, die sich damit brüsten, dass sie in ihrer gestärkten Autonomie diese Aufgaben bewältigt hätten. Diesen Rektoren sowie den Hochschulräten ist es gelungen, den öffentlichen Diskurs über den Gesetzentwurf zu beherrschen. Befürworter des Gesetzentwurfs sind kaum zu vernehmen. Die Gewerkschaften, deren Interessen angeblich nun besser berücksichtigt würden, tun sich schwer mit dem Entwurf, in dem sie zwar einige gute Absichten erkennen: Mehr öffentliche Verantwortung, bessere Arbeitsbedingungen, mehr Transparenz und demo-kratischere Strukturen. Von »Guter Arbeit«, einer Gewerkschaftsparole, ist zwar in der Begründung des Gesetzes die Rede, aber es fehlt die konkrete Umsetzung, also klare und arbeitnehmerfreundliche Regeln zur Befristung etwa.
Was in der Debatte völlig unterging, ist, dass einzelne Hochschulräte, vor allem von Fachhochschulen, sich dem lautstarken Protest nicht angeschlossen haben. Einige Wissenschaftlerinitiativen, etwa von »attac« oder dem Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, bereiten eine Erklärung vor, in der sie den Hochschulrektoren das Recht absprechen, mit ihrer Kritik für die ganze Hochschule zu sprechen. Von den Studierendenvertretungen ist bisher wenig zu hören. Das Leitbild »Unternehmerische Hochschule« zeigt auch bei ihnen seine Wirkung: Sie sehen sich schon mehr als Kunden denn als aktive Mitgestalter der Hochschulen.