TEXT: SASCHA WESTPHAL
Es ist ein radikaler Neuanfang, den das neue Leitungsteam der »Favoriten« in diesem Jahr wagt. Bisher stand immer ein Wettbewerb im Zentrum des 1985 noch unter dem Namen »Theaterzwang« gegründeten Festivals, das alle zwei Jahre den freien Theatergruppen aus Nordrhein-Westfalen eine Plattform gibt. Doch den haben Felizitas Kleine und Johanna-Yasirra Kluhs nun abgeschafft. Hinter der bemerkenswerten Entscheidung steht für die 27-jährige Kluhs die Sehnsucht, »eine andere Ökonomie des Miteinanders zu etablieren als die der Konkurrenz«.
Die Werkschau der Freien Szene soll nun vor allem eine Zeit des Austauschs werden, des gemeinsamen Arbeitens und Zeigens, befreit von Zwängen einer Gesellschaft, die ansonsten in erster Linie auf Erfolg und Optimierung ausgerichtet ist. In dieser freieren Atmosphäre können sich, so hoffen die Kuratorinnen, unterschiedlichste Ansätze und Ideen gegenseitig befruchten.
Außerdem setzen die Macherinnen auf ein Konzept, das einzelnen Gruppen ein langfristigeres, kontinuierlicheres Arbeiten ermöglichen soll. Dafür hat das Wuppertaler NRW KULTURsekretariat, das ohnehin eng mit dem Festival zusammenarbeitet und es maßgeblich fördert, ein neues Förderprogramm entwickelt. Unter dem Label »Favoriten: Weitermachen!« wird man drei bis vier Künstlern oder Gruppen, die mit einer ihrer Arbeiten in Dortmund zu Gast waren, ein Produktionsbudget von 5.000 bis maximal 12.000 Euro zur Verfügung stellen. Damit lässt sich dann ein Projekt bis zum nächsten Festival weiterentwickeln und überarbeiten. Verantwortlich für die Auswahl ist ein Gremium, dem Marcus Droß, Anne Hirth und Tamina Theiß angehören.
Ganz im Sinne ihres Ideals der Öffnung in alle Richtungen haben Kleine und Kluhs eine weitere radikale Neuerung eingeführt. Während des Festivals wird es nur Freikarten geben, die allerdings aufgrund begrenzter Platzkapazitäten im voraus reserviert werden müssen. Ein nahezu utopisch zu nennendes Modell. Obwohl das Festival die Einnahmen aus dem Ticketerlös durchaus benötige, steht Johanna-Yasirra Kluhs zu der Entscheidung. Sie soll Schranken abbauen und es dem Publikum leichter machen, sich auf Fremdes und Ungewohntes einzulassen. Trotzdem wünscht man sich, dass zumindest ein Teil der Zuschauer seinen Obolus entrichtet und auf diese »freie« Weise Unterstützung leistet.
Der demokratische Grundgedanke des Festivals spiegelt sich auch in der Wahl seines Zentrums wider. Das ehemalige Museum am Ostwall, in dessen Räumen auch mehrere der vom Festival koproduzierten Arbeiten zu sehen sein werden, ist, wie Kluhs sich begeistert, ein »Haus, in dem es unmöglich ist, etwas zu machen, ohne dabei andere Leute zu sehen und zu hören«. Alles fließt dort ineinander.
Die Produktionen, zu denen auch die von der Kölner Gruppe SEE! konzipierte Klangskulptur und Bewegungschoreografie »Ok, Panik« gehört, die sich von einer Aufführung zur nächsten verändert, treten automatisch in Dialog zueinander. Allen Beteiligten eröffnen sich folglich wiederum andere Perspektiven: das Festival als sein eigenes Kunstwerk, das einen Blick ermöglicht, der sich im normalen Spielbetrieb kaum so ergibt.
Aber nicht nur das frühere Museum am Ostwall ist ein ganz eigener Ort, der den Arbeiten sein Wesen aufprägt und sie für Einflüsse und Eindrücke porös macht. Ähnliches gilt auch für das VIEW, das Restaurant in der siebten Etage des U-Turms. Für diesen Raum über den Dächern der Stadt werden kainkollektiv und das kamerunische Theaterlabor OTHNI ihre gemeinsame Produktion »Fin de Machine / Exit.Hamlet« (30. Oktober) überarbeiten. Die deutsch-kamerunische »Grenz-Überschreibung«, die eine Vielzahl von Formen und Traditionen miteinander konfrontiert und einer westlichen Geschichtsschreibung afrikanische Legenden und Erzählungen entgegenstellt, ist wie geschaffen für die Location zwischen Klub und Restaurant. Das Finale hebt dann auch die Trennung zwischen Performern und Publikum auf.
Der Shooting Star 2014 ist allerdings das in Düsseldorf und Köln ansässige Kollektiv Subbotnik, das der Musiker Kornelius Heidebrecht, der Regisseur Martin Kloepfer und der Schauspieler Oleg Zhukov vor zwei Jahren gegründet haben. Innerhalb kürzester Zeit hat das Trio seinen eigenen Stil kreiert, in dem sich Musik und Spiel, Bewegung und Erzählung magisch mischen. Mit »Die weiße Insel« (26. Oktober, Museum am Ostwall), »Lustdorf« (29. Oktober, Tanzcafé Oma Doris) und »Von der Sehnsucht des Menschen, ein Tier zu werden« (1. November, Studio Schauspiel) sind drei ihrer extrem poetischen Beschwörungen der Macht der Fantasie zu sehen. Gewiss ist das kein Zufall. Ihre spezielle Arbeitsweise richtet sich auf die Energien und Kräfte, die nur ein Kollektiv freisetzen kann. Damit entsprechen die offenen, Formen in einen befruchtenden Dialog bringenden Subbotnik-Produktionen dem Ideal der »Favoriten«.
25. Oktober bis 1. November 2014 Dortmund. www.favoriten2014.de