REZENSION ANDREAS WILINK
Leere Tage im schottischen Hochmoor. Der Wind pfeift über die kahle Landschaft. Ein einsames Herrenhaus, in dem die Gefühlskälte noch unter der Zimmertemperatur rangiert. Die mittellose Katherine wird Alexander (Paul Hilton), dem Sohn des Landlords Boris, angetraut, der sie wie einen seelenlosen Besitz behandelt und seine verkorkste Männlichkeit nur durch ihre Demütigung zu befriedigen vermag. Herr im Haus aber ist Katherines Schwiegervater (Christopher Fairbank), der sich harsch und roh alles unterwirft. Oft bleibt Katherine allein, bedient nur von ihrer farbigen Zofe und Haushälterin Anna. Sie trägt es mit matter, stiller Fassung, aber in ihr scheint es zu rumoren: Florence Pugh spielt das aus imponierender Ruhe heraus, in der immer schon das Andere lauert. Die Bedienstete Anna (Naomi Ackie) hat ein ebenfalls von Gewalt beherrschtes Verhältnis mit dem Knecht Sebastian (Cosmo Jarvis), einem zumindest äußerlich selbstbewusst virilen, hochfahrenden Kerl. Sebastian nimmt sich die durch ihn ihrer Leidenschaft und sexuellen Energie bewusst werdenden Katherine, die ihren defensiven Charakter abwirft und zu einer undurchdringlich ruhigen und kontrollierten, machtbewussten Person wird, die über Leichen geht – und nicht mal ein Kind verschont. Das Opfer als Täterin, die sich die Strategien derer aneignet, die ihr zugesetzt haben, und diese darin übertrifft.
Das rigide Herrschaftssystem, das konstruiert ist aus Angst und Schwäche, gebiert Monster. Alice Birchs Drehbuch basiert auf Nikolai Leskovs von Schostakowitsch zur Oper verarbeiteten »Lady Macbeth von Minsk« und spielt Mitte des 19. Jahrhunderts. Dass und wie das Haus in seinem biedermeierlichen Putz und seiner klar konturierten Architektur dennoch ein bedrohliches Eigenleben führt, erinnert an Henry James’ psychologische Spuk-Novelle »The Turn oft he Screw«. Schließlich wird es für die von keinerlei moralischen Grundsätzen und Skrupeln geleiteten, aus allen Bindungen gelösten, aber in sich selbst gefangenen Katherine zum Kerker: Freiheit als lebenslanges Gefängnis.
»Lady Macbeth«; Regie: William Oldroyd; UK 2016; 89 Min.; ab 2. November.