TEXT: NICOLE STRECKER
Es sieht erst mal gut aus für Nora. Sie hat gerade ihr »Puppenheim« verlassen zum Zwecke der Selbstverwirklichung, und so steht sie zu Beginn des Abends mit Pelz, Pumps und Goldglitzerfummel am Bühnenrand im Düsseldorfer Schauspielhaus und stellt sich der Belegschaft einer Textilfabrik vor. Stefanie Reinsperger gibt diese Nora als drall-tatendurstige Blondine, die sich einen feministischen Schlagabtausch mit ihren Arbeitskolleginnen liefert – ein Dialog aus Elfriede Jelineks 1979 entstandenem Debüt »Was geschah nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte«. Jelineks pessimistisches Gedankenspiel über Noras Aufbruch in die Eigenständigkeit wird bei Dusan David Parizek also zum Vorspiel – und zum Dialekt-gefärbten Emanzen-Klamauk. Sie wird vom Personalchef eingestellt, aber nicht um zu arbeiten, sondern um für den Firmenboss zu spielen: die Nora Helmer von Ibsen.
So inszeniert Parizek die Ibsen-Tragödie als Spiel im Spiel, eingeklemmt zwischen zwei Jelinek-Texte. Das hat inhaltliche Plausibilität. Denn die Motivation, »Nora« heute zu spielen, wird so zum chauvinistischen Begehren: ›Mann‹ will eine ewig-lockende Kindfrau lachen, schmollen, leiden sehen. Tatsächlich weckt Reinspergers hochtouriges Spiel mehr Schaulust als Mitgefühl. Rainer Galke gibt einen fiesen Nora-Gatten, in dessen säuselndem Dutzidutzi-Gehabe stets der geile Tyrann lauert. Wenn Nora schließlich seine Patschhände abschüttelt, entschweben die Holzwände der hochpolierten Puppenkiste von Parizeks Bühnenbild, als sprengten starke mentale Kräfte den Raum.
Den dritten Teil trägt wieder ein Jelinek-Text, eine neue, zweite Weiterdichtung der »Nora«, eine Suada über Wirtschaftsimperialismus und das Outsourcing in der Textilbranche. Parizek inszeniert diese furios-assoziierende Moralpredigt in chaotischer Vielstimmen-Manier – eine gewohnte Form für die Jelinek-Textflächen, aber hier sehr gekonnt realisiert, mit einer sinnstiftenden Aufteilung der Sätze auf einzelne Schauspieler, hochkomisch, böse – und tatsächlich eine clevere »Nora« in dritter Potenz: vom begrenzten »Frau-ist-Sexobjekt«-Lamento zur vertrackt-vervielfachten Opfer-Täter-Tirade.
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