TEXT: GUIDO FISCHER
Rien ne va plus: Die Casino-Maxime gilt inzwischen für viele Stadtkassen. Doch wie leer die Kultur-Töpfe tatsächlich sind, wurde in den letzten Monaten überdeutlich. So hat man das Duisburger »Traumzeit«-Festival kurzerhand für 2012 abgesagt. Die Wittener Tage für neue Kammermusik konnten nur dank einer zusätzlichen Finanzhilfe des WDR stattfinden. Und nicht eben rosig ist es um die Zukunft des Moers Festivals bestellt. Im Vorfeld der 41. Ausgabe stellte ein Kommunalpolitiker klar, dass angesichts von 600 Millionen Euro Schulden ein subventioniertes Festival zu den Nettigkeiten und nicht zu den Notwendigkeiten einer Stadt gehöre. Die Replik folgte prompt von Festival-Leiter Reiner Michalke mit der optimistischen These, dass »eine Stadtgesellschaft, die über 40 Jahre ein internationales, avantgardistisches Jazzfestival unterhält, immun gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz« sei.
Michalke hätte auch andere Argumente anführen können. Seit er 2006 die Amtsgeschäfte von Festival-Gründer Burkhard Hennen übernommen hat, ist das Moers Festival wieder zu Europas wohl bedeutendstem Forum für zeitgenössische Improvisationsmusik geworden. Im letzten Jahr kamen über 10.000 Besucher in den Freizeitpark, trotz erstmals erhobener Übernachtungs- und Müllgebühr für die Jazz-Camper.
Der eingeschlagene Sparkurs spiegelt sich zwar in der Verschlankung von vier auf drei Konzerttage (außerhalb des offiziellen Programms läuft am 28. Mai Helge Schneiders »Heimatabend«). Niederrheinische Magerkost gibt es deswegen aber nicht. 2011 holte man mit der Free-Jazz-Ikone Ornette Coleman die überregionalen Feuilletons zurück nach Moers. Auch dieses Mal will Michalke Trumpfkarten ausspielen, um für Schlagzeilen zu sorgen. Mit der Amerikanerin Carla Bley könnte das gelingen. Die seit Jahrzehnten zur besten Jazz-Komponistin gekürte Pianistin feiert ihr Moers-Debüt. Neben einem Auftritt mit den Weggefährten Steve Swallow (Bass) und Andy Sheppard (Saxophon) lädt sie zudem zu einer »Leçon Française« ein. So lautet die gleichnamige, hier uraufgeführte Bigband-Komposition über eine englische Schulklasse, die Französisch büffelt. Erste Erfahrungen auf einem Jazz-Podium macht dabei ein Knabenchor der Dortmunder Choral-Academy.
Überhaupt ist das gut gefüllte Programm ein buntes Zusammenspiel von Top-Gästen, stilistisch Entlegenem und Musikern aus der üppigen Jazz-Landschaft NRW. Das von Jan Klare zusammengestellte Ruhrgebiets-Kollektiv The Dorf erinnert mit surrealem Jazz an den Anfang des Jahres verstorbenen Kölner Schlagzeuger Frank Köllges. Aus Kanada reist Tanya Tagaq an, die mit ihren archaischen Kehlkopf-Gesängen schon das Kronos Quartet und die isländische Pop-Sirene Björk faszinieren konnte. Mit James »Blood« Ulmer trifft ein Urvater des Jazz-Rock auf die »Rolling Stones des Funk«. So zumindest bezeichnet Michalke die legendäre Band Defunkt um Posaunist und Sänger Joseph Bowie, die die Festival-Geschichte mitprägten.
Vorrangig kann man Talente und Namen entdecken, die bislang nur Insidern ein Begriff sind. Dazu gehört der amerikanische Cellist Erik Friedlander, der mitsamt Fotografien seines Vaters Lee Friedlander eine multi-mediale Reise durch die USA antritt. Ihren ersten Auftritt außerhalb Frankreichs geben die elf jungen Musiker von Radiation 10, die unbekümmert mit Pop, Jazz und Neuer Musik jonglieren.
Außerdem lässt sich Weltmusikalisches hören, wenn etwa Gäste aus dem ehemaligen Birma für das Projekt »Myanmar meets Europe« einfliegen. Ursprünglich sollte diese Koproduktion auch beim »Traumzeit«-Festival auftreten. Aber das musste ja abgesagt werden…
25. bis 28. Mai 2012, Moers Festival Freizeitpark. www.moers-festival.de