TEXT: ANDREAS WILINK
Gegen ihn war Marlene Dietrich ein Aschenbrödel. Sie trug weißen Nerz und Pailletten auf dem körpereng genähten Kleid. Er bevorzugte Chinchilla oder Weißfuchs, verlängert um eine Fünf-Meter-Schleppe, die Robe war mit Strass für 100.000 Dollar geschmückt. An den Händen und um den Hals glänzten haufenweise Ringe und Ketten aus Gold. Eine schwarzglänzende Perücke verdeckte die Glatze. In Las Vegas war Liberace neben dem späten Elvis Presley die kurioseste Gestalt des Showbusiness. Neben dem King die Queen und Drag Queen.
Ein Mann, »wie gemacht, um berühmt zu sein«. Als schnellster Pianist mit 6000 Noten in zwei Minuten brachte er den Pop in die klassische Musik, versüßte Chopin, hatte seit den 50ern eine eigene Fernsehshow, tourte enorm viel und verdiente einen Haufen Geld. Er besaß Villen, die den Vergleich mit seinem Kostümgeschmack in nichts nachstanden, Dutzende von Schoßhunden, einige Adoptivsöhne, einen Wagenpark. Er hinterließ 100 Millionen Dollar, als er 1987 mit 67 Jahren an Aids starb. Dass er schwul war, hat er immer verneint und gegen das Gerücht in eidesstattlichen Erklärungen und mit Klagen vor Gericht gestritten. Das »L« stand für Liberace, für Luxus und für Ludwig II. von Bayern, seinem Vorbild, dem er im Bau seiner vulgär prunkenden Häuser nacheiferte. Eine amerikanische Karriere des Hypertrophen.
Steven Soderbergh hat Liberaces Leben an der Seite von Scott Thorson, einem jungen kalifornischen Tierpfleger mit blonder Föhn-Mähne, der nie ein richtiges Elternhaus hatte und bei Pflegeltern aufwuchs, für den Sender HBO gedreht, der auch »The Wire« und »Die Sopranos« produzierte. Nach der Einladung zum Festival nach Cannes und dem an der Croisette fulminanten Erfolg bekommt der zweistündige TV-Film eine Kino-Auswertung. Zu recht. Er ist ein Triumph für Michael Douglas, der mit Habicht-Profil, Tunten-Gestus, geiler Gier, Kitsch-Pathos, lüsternen Verführungs-Floskeln und zwanghaften Hausfrau-Allüren dem Urbild ganz nahe kommt, und für Matt Damon, der als Scott seine muskulöse Haut zu Markte trägt. Soderbergh schenkt zudem ein Wiedersehen mit Debbie Reynolds als Mutter Liberace, deren Bindung an ihren Sohn das klassische Psycho-Motiv bildet, sowie mit Dan Aykroyd als Liberaces Agent und mit dem einstmaligen New Hollywood-Beau Rob Lowe, der als Schönheits-Chirurg und Pillendoktor selbst maskiert scheint wie ein Double von Michael Jackson. Giftiger als in »Behind the Candelabra« (Originaltitel) wurde kaum je das Entertainment-Milieu und seine brutalen nackten Wahrheiten und schillernden Lügen dargestellt.
Scott macht mit Liberace Bekanntschaft durch einen gemeinsamen Freund. Der Star findet sogleich Gefallen am schmucken »Baby Boy«, macht ihn zu seinem Chauffeur, staffiert und hält ihn aus, sperrt ihn in den Goldenen Käfig, nötigt ihm – wie auch sich selbst – ein Lifting und eine kosmetische Korrektur auf, die das Gesicht des Jüngeren seiner eigenen, verfallenden Physiognomie anpasst – was Soderbergh in blutigen Details unterm Skalpell makaber inszeniert wie einen Frankenstein-Film. Der wahnhafte Wunsch, sich selbst im Anderen zu konservieren, ist als narzisstischer Trieb nicht zu steigern. Wir haben es tatsächlich mit einem Horror- und Monster-Film zu tun, wenngleich im verschmust weich wiegenden Rhythmus und Takt eines Schlagers.
Während Liberace bald genug hat von der Monogamie und exzessiv die schwule Subkultur in ihren Spielarten genießt, konsumiert Scott zusehends frustriert Drogen, schnieft Koks, klinkt aus, verfettet und driftet ab. Irgendwann steht der Nachfolger Cary, jung und blond wie damals Scott, in den Kulissen. Scott muss gehen – und versucht sein Recht zu erstreiten. Die Pathétique als Posse.
»Liberace«; Regie: Steven Soderbergh; Darsteller: Michael Douglas, Matt Damon, Dan Aykroyd, Debbie Reynolds, Rob Lowe, Boyd Holbrook, Scott Bakula; USA 2013, 118 Min., Start: 2. Oktober 2013.