Nicht gegen die Kirche, sondern für die Kirche sollte man »Grace à Dieu« begreifen. Hier steht nicht der Glaube zur Debatte. Gefordert wird Gewissen. In Matthäus 5 heißt es in der Übersetzung von Martin Luther: »Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist von Übel.«
Aber die Katholische Kirche laviert und führt ‚gleisnerische’ Rede. In Person des Kardinals Barbarin bei einer Pressekonferenz empfindet sie es als glücklichen Umstand, einen des Missbrauchs angeklagten Priester nicht mehr belangen zu können: Gelobt sei Gott, die Taten seien inzwischen verjährt. Die Opfer wurden vertröstet, Beweismaterial ignoriert. Die Verbrechen werden höchstens weggebetet.
Pater Bernard Preynat (»ein Schatten, der auf meinem Leben liegt«) hat sich seit den achtziger Jahren in zahllosen Fällen des sexuellen Missbrauchs an minderjährigen Jungen schuldig gemacht. Weder wurde er aus seiner Funktion entfernt, noch hat die Amtskirche gegen ihn ermittelt. Man schwieg. Aber die Verbrechen lassen sich nicht mehr totschweigen.
Ohne das Licht der Aufklärung
Auch deshalb wird viel geredet in Ozons Film, der auf der Berlinale den Großen Preis der Jury erhielt, während in Lyon Barbarin und sechs weitere Angeklagte vor Gericht standen. Die Sprache deckt auf. Worte setzen etwas frei. Wenn die Kanzel diese Macht zur Wahrheit nicht wahrnimmt, müssen andere Instanzen es tun. Auch deshalb hat der Film etwas Unnachgiebiges, nie Nachlassendes, der ablaufenden Zeit Abtrotzendes.
»La parole libérée« heißt der Verein, den Betroffene gründen. Sie forschen nach weiteren Leidensgenossen und nehmen Kontakt zur Justiz auf. Wir erleben in kurzer Taktung Mail-Dialoge, Anfragen, Beratungen, Recherchen, Aussagen unter Tränen, Zusammenbrüche, Verhöre, Diskussionen innerhalb von Familien –und Rückblenden zu den Orten und Gelegenheiten der pädophilen Übergriffe. Die Kirchenräume, Sakristeien und Residenzen der Oberhirten liegen im Halbdunkel. Ohne das Licht der Aufklärung.
Drei Männer (mit fiktiven Namen) und ineinander übergreifenden Schicksalen bringt der Film in die Großaufnahme. Wie Ozon Emotionales ernüchtert und versachlicht, die Temperatur seines Kinos genau regelt und dabei in jedem Detail zeigt, auf wessen Seite er steht, ist brillant.
Systematisches Versagen
Alexandre (Melvil Poupaud), der (gut-)gläubige Ehemann und fünffache Vater, vertraut zunächst den Beteuerungen der Kirche. François (Denis Ménochet) hat diese Hoffnung nicht, sondern besteht ganz aus Wut, die ein Ventil sucht und es im Schlagzeug-Spiel findet. Emmanuel (Swann Arlaud) wiederum wurde durch die ihm angetane Gewalt in seinen Grundfesten dauerhaft erschüttert.
Doch Ozons Blick auf den Einzelnen weitet sich zur Totale: Es geht um mehr als Einzelfälle. Hier ist ein System am Werk, das es nicht fertig bringt, Schuld anzuerkennen, Verzeihung zu erbitten, aus tiefem Herzen zu bereuen. Auch deshalb sind hier die Täter mit ihren realen Biografien ›dokumentiert‹. Wenn der Kardinal auf dem Dach des Doms die Monstranz segnend über die Stadt hält, scheint die Geste eher einen Fluch zu symbolisieren.
»Gelobt sei Gott«, Regie: François Ozon, F 2019, 137 Min., Start: 26. September