TEXT: ANDREAS WILINK
Anzuzeigen ist ein großer Film über das Filmemachen vom Range eines Billy Wilder (»Sunset Boulevard«), Vincente Minnelli (»The Bad and the Beautiful«) oder Robert Aldrichs »Legende der Lylah Clare« – süffiger, geschmeidiger, auch hemmungslos entertainender als die Selbstbespiegelungen des Godard, Fassbinder, Wenders, Truffaut. »The Congress« kleidet sich in die Hülle eines intelligenten Melodrams, um die Dämonen zu entfesseln und eine Reflexion über Wahrheit und Lüge des Kinos und seine Zukunft, eine Studie über Manipulation und tief pessimistische Fantasie zu entwerfen, gemäß dem Autor der Vorlage, Stanislaw Lem.
Sie ist blond, groß, schön, intelligent, eine zweite Grace Kelly: die Schauspielerin Robin Wright, die in »The Congress« die Schauspielerin Robin Wright spielt – mit ähnlicher Biografie (geboren 1966 in Texas) und Filmografie. Die Film-Robin Wright lebt mit ihrem kranken Sohn Aaron, der zu erblinden und sein Gehör zu verlieren droht, während sein Beautiful Mind innere Welten kreiert und seine Imagination die Realität stimuliert, und Tochter Sarah an einem seltsamen Platz: in einem ehemaligen Hangar neben einem Flugfeld, wo der Junge seinen roten Drachen im Wind der Landebahnen steigen lässt und die Flugpläne auswendig kennt. Nomen es Omen: Wright. Sie bekommt eine letzte Chance. Ihr alerter Produzent (Danny Huston) macht ihr eine Offerte; ihr knorriger Agent Al (unübertrefflich: Harvey Keitel) redet ihr zu und beeinflusst sie, indem er ihr Geschichten aus einer Jugend in der Bronx erzählt und seine Fähigkeit erläutert, bei anderen (auch bei ihr) Defekte und Ängste zu erspüren und aus diesem Instinkt Kapital zu schlagen.
MIRAMOUNT – PARAMOUNT
Das Studio heißt Miramount (es könnte auch Paramount heißen). Ein Vertrag also, ein allerletzter. Miramount will Robin Wright scannen – ihren Körper am Computer regenerieren, ihre Emotionen speichern, sie besitzen für alle Ewigkeit. Zunächst weigert sie sich. Sie will nicht digital existieren. Aber ist ein Schauspieler, fragt Al, nicht immer Objekt des Studios? Hatte sie je eine Wahl, wurde sie nicht zu Rollen gezwungen, zur Marionette degradiert, besonders, als ihre Karriere einknickte, sie Kassengift wurde, Fehler machte, Flops produzierte?
Hollywood Babylon. Ebenfalls bestärkt sie Steve, Anwalt für Scanner-Verträge, zu dessen Klienten Keanu Reeves und Michelle Williams gehören. Robin Wright stimmt schließlich dem Kontrakt zu und lässt geschehen, dass ein berühmter Ex-Kameramann – dahin also ist es mit dem Kino gekommen! – ihre Mimik, ihr Lachen, ihr Leiden speichert. Doch bittet sie sich aus, dass ihr künstliches Alter Ego weder Porno noch Sci-Fi spielen soll. Auch das wird sich erledigen.
Es folgt ein Zeitsprung um 20 Jahre – und bei Ari Folman der Wechsel vom »menschlichen« konventionellen Film in die explodierenden Rauschzustände des Animationsfilms. Die echte Robin Wright, gut gealtert, fährt mit ihrem silberfarbenen Porsche zum Futurologischen Kongress ins Miramount Hotel, schnieft eine Ampulle – und ist in der Trickfilm-Zone: einer knalligen pop-bunten Welt mit Over the Rainbow-Straßen, Fabeltieren, Killerbienen, Fantasialand-Dekor und John Wayne- und Marilyn-Klonen, während sie als Kino-Ikone und martialische Agentin Robin die Leinwände füllt.
Aber die Technologie sieht noch mehr vor: die Entwicklung einer Substanz und chemischen Formel, mit der sich jeder in den oder das verwandeln kann, was ihm als Ideal vorschwebt. Menschliches Mittelmaß, der menschliche Makel ist ausgeräumt, die scheinbar absolute Freiheit der Wahl, ob als Kleopatra, Venus von Milo oder kubistischer Picasso herumzulaufen, schafft Massen-Koller und -Suggestion und die totale Unfreiheit, kontrolliert und konstruiert von einem Medien-Großkonzern, gegen den Rebellen (darunter Robin Wrights Tochter Sarah) aufbegehren. Robin selbst wird durch eine Halluzinogen-Droge vergiftet, wird eingefroren, aufgetaut, träumt sich durch die 80er mit Grace Jones und Ronald Reagan und wird ihren verlorenen Sohn Aaron suchen.
Ari Folman bewältigt den komplexen, mehrfach gespiegelten Stoff grandios und erschafft eine witzige, gruselige, krasse, visuell schockende, von ihm heroisch gestemmte Negativ-Utopie, die mit Kubricks Dr. Seltsam, Barbarella, Walt Disney und vielem mehr auch ein Streifzug durch die Kulturgeschichte des Kinos und unsere Zivilisation ist – ihren Traum und Albtraum.
»The Congress«; Regie: Ari Folman; Darsteller: Robin Wright, Harvey Keitel, Kodi Smit-McPhee, Jon Hamm, Danny Huston, Paul Giamatti; Israel 2013; 117 Min.; Start: 12. September 2013.