»Eine Stadt im Lottoglück« schrieb die FAZ über Bochum, weil dort jemand fünf Richtige gezogen hat, damit die Stadt sich ihren langgehegten Traum vom eigenen Konzerthaus für die bis dato heimatlosen Bochumer Symphoniker erfüllt. Nicht: damit sie sich den Traum erfüllen kann, denn dafür reichen jene fünf Millionen Euro nicht aus, die der Lotto-Unternehmer Norman Faber aus seinem Privatvermögen zuschießen will. Einfach wie Berthold Beitz beim Folkwang-Museum die ganze Summe auf den Tisch zu legen, »das konnte ich nicht«, sagt Faber. Es hätten 30 Millionen sein müssen. Also habe er sich entschieden, die Stadt zu ihrem Glück zu drängen: Die fünf Millionen werde es nur geben, so verkündete Faber im letzten Herbst, wenn die Stadt sich bis März 2007 endlich durchringe – und nur, wenn das Gebäude nicht bei der Jahrhunderthalle entstehe, sondern in der Innenstadt. Die Stadtpolitiker meinten, das Angebot nicht ablehnen zu sollen und entschieden wie gewünscht.
Ein starkes Stück. Wenn man so will: hart an der Grenze zur Erpressung. Nimmt also der Bürger Faber – »Lottokönig« will er nicht genannt werden – sich allzu wichtig? Will er Macht genießen? Sich ein Denkmal setzen? Will er als Kulturmäzen Ablass aushandeln für sein lukratives Geschäft mit den – meist vergeblichen – Lotto-Träumen Tausender kleiner Leute? Oder will er unfähigen Politikern auf allen Ebenen zeigen, wo es langgeht? Immerhin führt der Unternehmer zurzeit einen heftigen Kampf gegen die »existenzbedrohenden« neuen Lotto-Gesetze, wobei er schon mal damit droht, für seinen Bochumer Unternehmenssitz die Abrissbirne zu bestellen. Lebt da einer seine allgemeine Frustration mit dem Kleinklein bundesdeutscher Politik aus?
Der Versuch, ihn bei unedlen Motiven für sein Konzerthaus-Engagement zu ertappen, müsse scheitern, sagt Norman Faber in seinem Büro: »Das gelingt Ihnen nicht.« 61 Jahre ist er alt, doch leicht könnte man ihn um mindestens zehn Jahre jünger schätzen. Jung wirkt er und völlig harmlos, um so verblüffender dieses kühle: »Das gelingt Ihnen nicht.« Auf die Meinung fremder Menschen schiele er nicht, sagt er und spricht den Reporter direkt an, fast schneidend: »Wenn Sie negativ über mich denken, das beeinflusst mich überhaupt nicht, es gibt da keine Verbindungzwischen uns.« Man darf sich wohl ein wenig zurechtgestutzt fühlen, und einen Moment lang blicken Fabers Augen so bohrend, dass jedem ungemütlich werden müsste, der dem Mann tatsächlich am Zeug flicken wollte.
Im Übrigen aber erklärt Faber bereitwillig und freundlich, was ihn treibt. Wir sind uns einig, dass es vornehmlich um das Konzerthaus geht, doch binnen weniger Minuten schon ist er beim Lotto; man kann vermutlich gar nicht ernsthaft mit Norman Faber sprechen, ohne das Thema Lotto zu berühren. Er hat eigentlich nur sagen wollen, dass er im Grunde durchaus introvertiert sei und »überhaupt nicht auf Medien eingestellt« – mit Ausnahme freilich jenes »Lottokriegs« Anfang der 90er Jahre, als er schon einmal um den Bestand seines Gewerbes kämpfte, da war er schon einmal auf allen Kanälen und in allen Talkshows präsent. Das habe ihm eigentlich gereicht, sagt Faber, doch nun müsse er sich eben wieder stellen, gegen den geplanten Lotto-Staatsvertrag: »Weil wir sonst vernichtet werden.« Doch zurück in die Zeit vor Lotto, soweit es die überhaupt gab.
1969 kam Norman Faber nach Bochum und studierte an der jungen Uni Wirtschaft. Nach dem Examen war er Berufsschullehrer, sieben Jahre lang. Er sei gerne Lehrer gewesen, sagt Faber, und habe den gesellschaftlichen Bildungsauftrag auch sehr ernst genommen – »im Grunde sehen Sie da schon eine Linie zum Konzerthaus«. Dennoch: Ein Leben lang Lehrer, »das wäre eine Überforderung gewesen, da war noch eine Unruhe in mir«. Was ihn bewegte, war Lotto, ein »Faszinosum« seit Jahren. Lotto – das könne mehr sein als »tumbes Tippen«, dachte Faber. Seine Geschäftsidee: Systemlotto. Kurz gefasst geht es darum, die irrationale Hoffnung auf Lottogewinn in möglichst rational-statistische Kanäle zu lenken. Auch mit Fabers Hilfe kann man die Lottokugeln weder berechnen noch beeinflussen. Aber als Teil einer größeren, durch Faber organisierten Tippgemeinschaft hat man höhere Gewinnchancen, bei moderatem Einsatz. Und wer gewinnt, muss zwar mit seinen Tipp-Kollegen teilen, nicht aber mit Tausenden jener tumben Tipper, die beharrlich ihre Allerweltszahlen ankreuzen und sich dann über niedrige Quoten wundern. Denn Fabers Firma organisiert nicht nur die Tippgemeinschaften gegen Gebühr und vermittelt ihre Einsätze an die Lottoge-sellschaften; sie kennt und wählt auch jene Zahlen, die statistisch selten getippt werden und deshalb beim Gewinn eine bessere Quote, mehr Geld bringen.
»Quote« – ein Zauberwort in Fabers Reich. »Ich guck’ mir jede Lottoziehung an«, bekennt Faber: »In 98 Prozent der Fälle wird die Sechser-Quote erst durch die letzte Kugel bestimmt: Million – oder Desaster!« Fabers Augen leuchten, bis ihm wohl wieder schmerzlich bewusst wird, wie wenig sein Gegenüber den statistischen Charme des Geschilderten würdigen kann. Er selbst, das ist klar, ist weniger ein »homo faber«, wie er voraussagbar tituliert wurde, als ein »homo ludens«, der anderen, ähnlich spielerisch veranlagten homines zu ihrem Glück verhelfen will, wobei ihm die Abgrenzung wichtig ist zwischen solchem Spiel und dem, was ein »aleator« treibt, ein reiner Hazardspieler also.
Den Vorwurf nämlich, dass er unvernünftiges Spielen begünstige »und dass ich damit auch noch Geld mache«, den kennt Faber
legitim und nicht unvernünftiger als manch anderen Zeitvertreib. Es gehe den Spielern ja nicht in erster Linie um den Gewinn, sondern um das »Chancen-Erlebnis«, die verschwindend kleine, aber aufregende Möglichkeit, dass sich mit einem Schlag finanziell alles ändert. Spielsucht? Für Faber ein völlig absurder Vorwurf; kein Glücksspiel sei weniger geeignet als Lotto, süchtig nach mehr und immer höheren Einsätzen zu machen. Ernst nimmt er den Vorwurf dennoch. Kampf gegen Spielsucht ist ein Vorwand, unter dem der Staat Privatfirmen wie der Fabers jede Werbung verbieten will, was laut Faber eben die »Vernichtung« seines Unternehmens bedeuten würde, gegen die er sich nun mit »90 Prozent seiner Arbeitskraft« stemme und sich dabei, nolens volens, auch wieder der Medien bediene.
Dass sein Engagement für das Bochumer Konzerthaus zeitlich mit diesem Existenzkampf zusammenfällt, sei nichts als ein Zufall, ein eher unglücklicher. Keineswegs gehe es ihm um eine Generalabrechnung mit der Politik, ebenso wenig um einen Ausgleich für das anrüchige Lottogeschäft, auch nicht um Selbstdarstellung: Bei gesellschaftlichen Ereignissen lasse er sich kaum blicken, und mit dicker Uhr, großem Auto und dergleichen zu protzen, »das ist nicht meine Welt.« Andererseits: »Ich bin kein Geldsammler.« So habe er immer darauf gesehen, dass er den 450 sorgfältig ausgesuchten Mitarbeitern seines Unternehmens »viel zurückgibt, dass es ihnen gut geht; da gilt kein Shareholder-Value«. Auch über eine größere Spende habe er schon länger nachgedacht – wobei aber das Wort »Mäzen« in seinem Fall unangebracht sei, denn: das Sponsoring für den VfL Bochum, für Eishockey, Skiflieger und Boris Becker, »das war immer betrieblich begründet«, sagt Faber. Also schlicht Werbung zum Nutzen der Firma, da wolle er sich nicht mit falschen Federn schmücken.
Auch bei der Spende, sagt Faber, wäre es ihm lieber gewesen, wenn er sie nicht öffentlich hätte machen müssen. Er habe über Projekte nachgedacht, bei denen das Geld ganz unauffällig hätten fließen können. Das sei beim Konzerthaus unmöglich gewesen, weil die fünf Millionen eben nur eine öffentlich inszenierte Initialzündung sein konnten. Diesen Weg zu gehen, trotz aller Introvertiertheit, »war eine schwere Entscheidung«, sagt Faber, »auch, weil man damit ja andere Menschen in die gleiche Richtung drängt. Ich habe es getan, weil ich von der Idee überzeugt war.«
Im Grunde, sagt Faber, verfolge er die Diskussion ums Bochumer Konzerthaus schon seit seinen Studententagen. Als Konzertgänger und als Vater dreier recht musikalischer Kinder sei er mit den Bochumer Symphonikern schon lange verbunden, und Generalmusikdirektor Steven Sloane, der die »BoSy« seit zehn Jahren erfolgreich leitet, »war für mich eine ganz wichtige Person«. In dessen Arbeit sieht Ex-Lehrer Faber auch eine große Chance zur kulturellen Jugendbildung. Die Diskussion um das Konzerthaus, ob die Stadt es sich überhaupt leisten kann und ob es bei der Jahrhunderthalle entstehen sollte oder in der Innenstadt, »diese Diskussion war jetzt an einen Endpunkt geraten«, sagt Norman Faber. Wieder einmal hatten die Politiker 2006 eine Entscheidung vertagt, und dem 61-jährigen Faber erging es ähnlich wie dem 93-jährigen Berthold Beitz in Essen: »Ich hatte das Gefühl: Wenn ich nicht aktiv werde, wird das zu meinen Lebzeiten nicht mehr gebaut.« Und obwohl sein Streit um den Lotto-Staatsvertrag ihn im vergangenen November schon reichlich in Anspruch nahm, schien Faber, daß er keine Zeit verlieren dürfe: »Der Sloane wäre sonst weg gewesen«. Und die Fertigstellung bis zum Kulturhauptstadtjahr 2010 wäre auch illusorisch geworden.
Und so machte Faber im November sein Angebot: fünf Millionen Euro, wenn erstens – wie erwähnt – bis März 2007 die politische Entscheidung fällt, 15 städtische Millionen in den Bau und weiteres Geld in den laufenden Betrieb zu investieren, und wenn zweitens zwei weitere Millionen durch bürgerschaftliches Engagement zusammenkommen. Beide Bedingungen waren zum Stichtag erfüllt: Bochum im »Lottoglück«, Steven Sloane im »siebten Himmel«. Aber musste Faber den Handelnden auch noch seine dritte Bedingung aufzwingen, dass nämlich das Konzerthaus nicht am ursprünglichen Standort »Weststadt« bei der Jahrhunderthalle gebaut werde, sondern am sogenannten Bermuda-Dreieck, Bochums Amüsiermeile, in der Innenstadt, neben der stillgelegten neugotischen Marienkirche? Auch wenn Steven Sloane und viele andere Bochumer diese Lösung schon lange favorisierten – wäre es nicht nobler gewesen, wenn der Spender wenigstens die Entscheidung über den Standort normalem demokratischen Procedere überlassen hätte? Zu dem Junktim, sagt Faber, hätten ihm sogar Leute geraten, die ursprünglich die »Weststadt« favorisiert hatten. Das Votum für die Innenstadt erhöhe die Akzeptanz des Projekts, habe man ihm auseinandergesetzt, und nur so sei auch eine endlose weitere Diskussion zu vermeiden gewesen – »das hat mir eingeleuchtet«. Tatsächlich haben die Advokaten der »Weststadt«, einschließlich des Kulturdezernenten Hans-Georg Küppers, der Entscheidung keinen nennenswerten Widerstand entgegengesetzt.
Der Spender hat seinen Willen bekommen, das Konzerthaus wird voraussichtlich nach den modifizierten Plänen des Kölner Architekten Thomas van den Valentyn gebaut werden – davon gehe er jedenfalls aus, sagt Norman Faber, denn für die Einholung weiterer Entwürfe bleibe ja eigentlich keine Zeit mehr. Ob die Marienkirche in den Bau integriert wird, wie sich viele Bochumer das wünschen, zu solchen Detailfragen will Faber sich nun nicht mehr äußern. Überhaupt sieht er seinen Part als erfüllt an. Wie aber, wenn die noch fehlenden sieben Millionen sich nicht finden? Wenn sich zeigt, daß die klamme Stadt sich mit den fünfzehn Millionen und den Folgekosten doch übernommen hat? Drückt ihn die Vorstellung nicht manchmal, für diese Entscheidung so viel Verantwortung zu tragen? Sieht er eine Verpflichtung, der Stadt dann auch bei den laufenden Kosten beizuspringen? Das nun doch nicht, wehrt Faber ab. Im Übrigen sei er keineswegs überzeugt, dass die BoSy mit eigenem, auch anderweitig zu nutzendem Haus die Stadt am Ende mehr kosten werden als ohne.
Der fehlenden sieben Millionen wird sich nun eine Stiftung annehmen, an deren Gründung Faber sich beteiligt hat. Im Rahmen des fälligen »fund raising«, so war schon zu lesen, sei auch eine Lotterie geplant. Die Idee, sagt Faber, sei aber nicht von ihm: »Wenn Sie viel Zeit haben, organisieren Sie mal so eine Lotterie.« Eine leicht anzuzapfende Geldquelle, gibt er zu verstehen, sei so etwas eher nicht. Man werde sehen. Sodann geleitet Faber den Reporter zum Ausgang seines Firmensitzes zwischen Opelwerk und Studentenstadt – ein eigenartig zwischen Extravaganz und Unauffälligkeit schwebendes Gebäude übrigens: mit lila Fensterrahmen, mit einer gerundeten Rückansicht, die an jene Lottokugeln erinnern soll, um die sich bei Faber alles dreht. Was sich freilich nur Eingeweihten erschließt, zumal kein Schild, kein leuchtendes Logo, keine flatternde Fahne darauf hinweisen, wer oder was in diesem Haus residiert. Gleichgültig scheint Faber das Haus keineswegs; das Wüten der Abrissbirne würde er selbst vermutlich am wenigsten ertragen. Lieber hätte er das Gebäude verkauft: 2002, sagt er, seien Vorbereitungen für eine neue, größere Firmenzentrale erst in letzter Minute abgeblasen worden – weil sich die »Vernichtung« durch staatliche Stellen andeutete. Dem bundesweiten Kampf dagegen wird Norman Faber jetzt wieder seine ganze Aufmerksamkeit widmen, durchaus zuversichtlich: homo belligerens.