Was geschieht mit archäologischen Funden? Sie kommen hinter Glas, verewigt im Museum. Armin Holz, der als Regisseur ziemlich allein steht und deshalb gelegentlich als Popanz benutzt wird, um ein lebensgefühliges, videobuntes Pop- und Diskurs-Theater abzustrafen, will Stücken wieder zu sich selbst verhelfen, sie wie ein Altertumsforscher freilegen. Leider stellt er totes Material zur Schau, und dies mit erheblichem Aufwand sowie
einer Leidenschaft, Unbedingtheit und Vermessenheit, die einem eine Art von Bewunderung abnötigt. Offenbar nicht nur den Betrachtern, sondern auch ernst zu nehmenden Schauspielern, die sich auf seine veredelte Mumifizierungs-Methode einlassen. Sie drehen ab in Pirouetten, mit denen jetzt (nach Oscar Wilde und Lorca) Arthur Schnitzler in den Schwindel getrieben wird.
Die Bühne des Schauspielhauses Bochum ist mit wenigen zeichenhaften Requisiten wie für ein Beckett-Spiel (Andrea Schmidt-Futterer / Armin Holz) ausgestattet – zudem mit einem Flügel, in und unter dem die Geschwister Felix und Johanna Wegrat (Nikolai Kinski, Claude de Demo) turnen und auf dem eine umdüsterte Pianistin wie aus einer frühen Thomas-Mann-Erzählung ihr Handwerk vollbringt und den Seelenregungen klanglich souffliert.
Holz choreografiert ein exquisites Schnitzler-Ballett und treibt das Räsonieren und emotionale Sich-Engagieren der Wiener Fin de Siècle-Gesellschaft (die Damen in Klimt-Gewändern, die Herren kostümiert zu Snobs) in den outriertesten Formalismus. Man sieht Figurinen in einem Porzellanladen, der nicht alle Tassen im Schrank hat. »Der einsame Weg« als Artefakt. Schnitzlers Gedanke, Gefühl und Gewissheit, dass die Menschen, so nahe sie einander sind, wenig voneinander wissen, als Kopftheater. Kaum jemand, der fähig ist zu einer einfachen Geste und Regung. August Zirner und Markus Boysen als eitle Fatzken und »Egoisten« Julian Fichtner und Stephan von Sala spreizen ihre Charaktere hinein in den Manierismus, wobei Boysen schon fast die Statur eines Fellini-Casanova und Dracula-Untoten mit qualvollem Raubvogel-Krächzen gewinnt. Jugendstil-Arabesken, expressive Exzentrik und melodramatisches Aufschäumen machen, dass man während der drei Stunden nach Luft schnappt. Allein Ilse Ritter als Irene Herms im Diven-Look von Grand Marlene verkörpert wirklich die Spiel-Haltung, in der Mädchenwitz, jüngferliche Grandezza und Unschulds-Koketterie ununterscheidbar Allüre und die reine Wahrheit sind. Sonst ging das Paradox der aufrichtigen Lüge perdu. AWI