REZENSION ANDREAS WILINK
Die Zeit ist bekanntlich ein sonderbar’ Ding. Wechselhaft, unbeständig, unhaltbar, unmessbar, wenn es nicht gerade nach Stunde und Minute geht. Sie zu fixieren, in einem Roman, einem Film, einem Stück Musik, ist so leicht nicht. Die Kamera kann helfen, die Zeit abzubilden, sie zu erzählen, indem sie: nichts tut. Still und starr schaut, manchmal Minuten lang, wie Andy Warhol aufs New Yorker »Empire«. Die Berliner Schule, zu der u.a. neben dem dramatischeren Christian Petzold oder der lyrischen Angela Schanelec auch Thomas Arslan gehört, sammelt Augenblicke. Das muss man aushalten können und wollen.
Michael (Georg Friedrich) hat seine Familie verlassen und keinen Kontakt zu seinem Sohn Luis (Tristan Göbel). Eine Art Familienkrankheit, ererbt von seinem eigenen Vater, der nun gestorben ist – in Norwegen, wo er zuletzt gelebt hat. Michael lädt Luis ein, ihn von Berlin aus zur Beerdigung zu begleiten, und dann könnte man »ein bisschen rumfahren«: eine lange Wegstrecke, im Auto und zu Fuß. Womit das Genre klar ist: ein Roadmovie.
Eine Wenders-Situation, wenn man so will. Mythos Natur, egal, ob in den Prärien oder hoch im Norden. Der Mensch wird im Schweigen der Wälder und Felder sich selbst begegnen. Wir reisen mit Michael und Luis durch die Landschaft, beobachten sie beim Schlafen im Zelt, sehen ihren Range Rover, der irgendwann ohne Benzin am Straßenrand steht, geraten in den Dunst, der Konturen auflöst. Minimalismus unter Mitternachtssonne: sachlich, beharrlich, wortkarg und immer eine Spur depressiv. Kommunikations-Blockade. Michael ist nicht in der Lage, seine Gefühle zu benennen, Luis lässt ihn in seiner Unbeholfenheit auflaufen. Das gibt es auch: das fast erhabene Pathos der Nüchternheit.
»Helle Nächte«; Regie: Thomas Arslan; D 2017; 85 Min.; Start: 10. August 2017.