Benni sieht Rot. Und wir sehen es mit der Zehnjährigen, weil die Leinwand farbwütend, fetzig und schlierig in Magenta ausblutet. Benni rastet aus, schlägt um sich, tritt, wirft, haut Gegenstände kaputt, drischt, schreit, pisst, klaut, wütet. Die größte Zerstörung richtet sie gegen sich selbst. Sie ist sich selbst unlebbar, ein einziger Schrei nach Liebe, ein Notruf. Ruhelos, verstörend, quälend ist dieser Film. Eine Strapaze, die in uns Sehnsucht nach Wärme, Weichheit, Geborgenheit, Stille aufkommen lässt. Alles, was Benni auch spürt und vermisst.
Die Diagnose lautet »frühkindliches Gewalt-Trauma«. Offenbar wurden dem Baby Windeln aufs Gesicht gepresst, so dass es Benni nicht erträgt, dass jemand ihr Gesicht anfasst. Von der Mutter weggegeben, hat sie bereits eine Heim-Odyssee hinter sich. Nirgendwo hält sie es aus, nirgends hält man Benni lange aus: nicht die Mitbewohner, Heimleiter, Erzieher, Therapeuten.
Eine Pflegemutter (Victoria Trauttmansdorff) nimmt sie ein zweites Mal zu sich, aber da ist nun schon ein anderes Kind, das von Benni attackiert und verletzt wird. Der für sie abgestellte Schulbegleiter Michael (aber Benni weigert sich, zur Schule zu gehen) baut ganz allmählich Kontakt zu ihr auf und gewinnt ihr Vertrauen, als sie gemeinsam drei Wochen in einer Waldhütte verbringen: ohne Strom, ohne Netz, ohne Fernseher.
Letzet Hoffnung Afrika
Danach wird es nur schlimmer, weil Benni einen Ersatzvater gefunden zu haben glaubt und Michael (Albrecht Schuch) sich vorwirft, »Rettungsfantasien« zu entwickeln, nötige Distanz aufgegeben und sogar seine Familie gefährdet zu haben. Auch Bennis Sozialarbeiterin, Frau Bafané (Gabriela Maria Schmeide), schafft es nicht, ›professionell‹ zu bleiben. Ihre Sympathie für Benni lässt sie einmal in Tränen ausbrechen, nachdem wieder alles schief gelaufen ist, die überforderte und ungefestigte Mutter (Lisa Hagmeister) ihr Kind neuerlich im Stich lässt, ein Versprechen bricht und stationäre Unterbringung zunehmend schwieriger wird. Letzter Ausweg: ein Farm-Projekt in Afrika, weit fort von allem Gewohnten.
Nora Fingscheidts Debüt ist beeindruckend. Es wurde zurecht mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, gewiss auch dank der großartigen Schauspieler, allen voran die atemberaubend spielende junge Helena Zengel. Man kann als Zuschauer kaum standhalten. Zumal es von Beginn an kaum Hoffnung für Benni gibt. Besserung scheint in ihrer inneren Spannung und äußeren Situation kaum möglich. Bei Herman Melville heißt es: »Die Abgründe überdauern die Höhen.«
»Systemsprenger«, Regie: Nora Fingscheidt, D 2109, 125 Min., Start: 19. September