REZENSION ANDREAS WILINK
Wir sind unmittelbar dran: in seinem Atelier, in der Figuren- und Gedankenwelt des Künstlers. Auguste Rodin und Camille Claudel räsonieren über Dantes Höllentor mit dem »Denker« (für den ein Preisboxer Modell saß), mit den Verdammten und den sich im »Kuss« findenden Verliebten Paolo und Francesca. Das Monument sollte das Entree eines Pariser Museums schmücken, das nie gebaut werden wird. Dieser Rodin von Jacques Doillon ist kein Berserker, sondern ein unermüdlicher Arbeiter und Grübler und dabei un-intellektuell, worauf sich Rodin immer wieder beruft.
Er hat die Skulptur revolutioniert, wie zuvor Michelangelo. In Gestalt von Vincent Lindon sagt er, Gold und Bronze auf der Werteskala ersetzt zu haben durch den Werkstoff Ton. Die Oberfläche seiner bildhauerischen Körper lässt durchscheinen, was darunter pulst, bebt und atmet: das lebendige Fleisch. Und weil das titanisch Getane erst im Ungetanen ganz sichtbar wird, lässt er das Unvollendete aus dem Material hervorbrechen und sich daran brechen. Wir erleben ihn im Gespräch mit Monet und Cézanne, der ihm sogar die Hand küsst: Dieser Rodin rebelliert wie die beiden Maler-Kollegen gegen das Akademische in der Kunst.
Die konzentriert karge und klare Film-Biografie verhält sich gegenüber der vor wenigen Wochen ebenfalls angelaufenen über Giacometti (»Final Portrait« von Stanley Tucci) wie ein spätes Beethoven-Streichquartett zu einem Musette-Walzer. Teilhabe am Schaffensprozess, das ist Doillons Anspruch. Wir sehen mit Rodins Augen, fühlen mit Rodins Hand, sind Haushälter seiner Kraft. Rodin, der am Porträt-Kopf des Victor Hugo arbeitet und immer wieder Skizzen aufs Papier wirft; der das Ungetüm der nackten, breitbeinig massigen, die Wampe vorwölbenden Balzac-Skulptur (Vorbild war ein Gärtner aus der Toraine) kreiert, damit den Unmut der Auftraggeber auf sich zieht, sie verwirft und neu entwirft, bis er den Dichter in einen riesigen Mantelumhang hüllt. Die sechs »Bürger von Calais« stellt er als Gruppe mitten unter uns und nicht in erhabene Ferne. Wenn er sich selbst im Liebesakt mit Camille verknotet, ahnen wir schon die Verwandlung in Marmor: höchste Anspannung, Verzerrung und Energie vor dem Aus- und Aufbruch. Rodin hat den Tumult der Leidenschaften, das Unkontrollierbare des Triebs und eine befreite weibliche, sich überhaupt erst so nennen dürfende Sexualität ins Bild gesetzt.
Alles ist hier bei Doillon Vorbereitung aufs Werk, die Berührung mit einem Baumstamm oder die Berührung von Haut. Anderes muss verworfen werden, sogar die Beziehung zu seiner begabten, klugen Schülerin, Schwester des Dichters Paul Claudel, für die er aber seine häuslich schlichte Lebensgefährtin Rose Beuret (Séverine Caneele) nicht verlässt und auf manch andere Affäre nicht verzichtet. Camille (Izia Higelin) steigert sich in Verbitterung und Verzweiflung, leidend an der Abhängigkeit von ihm und seinem Ruhm in der Öffentlichkeit und an dem Gefühl, von dem wuchtigen Mann verfolgt zu werden. Und entleert.
»Rodin«, Regie: Jacques Doillon; F 2017; 120 Min.; Start: 31. August 2017.