TEST: ANDREAS WILINK
»Versailles beginnt lange vor Versailles.« Schreibt Erik Orsenna in seinem feinen Buch »Porträt eines glücklichen Menschen« über den »Gärtner von Versailles« André Le Nôtre. Dass der britische Schauspieler Alan Rickman für seinen zweiten Film als Regisseur den Titel verweiblicht, ist richtig und falsch zugleich. Zwar bleibt Le Nôtre Herr über Haus und Garten, ohne dass wir über seine Biografie und die seiner Dynastie viel erführen (schon Vater und Großvater hegten und pflegten für Frankreichs Krone); aber er engagiert die verwitwete Madame de Barra für den Bau eines der Boskette im Park von Versailles – und das Paar (Matthias Schoenaerts, Kate Winslet) verliebt sich ineinander.
Wo Le Nôtres Architektur Ordnung und Regelmäßigkeit vertritt, fügt Madame de Barras Gartenkultur ein anarchisches Element hinzu, durch das die vollkommene Harmonie leicht außer Balance gerät und die Abweichung diese nur umso besser zur Geltung bringt. Eines Königs würdig.
Versailles ist Herrschafts-Demonstration, ästhetisches Projekt und politische Propaganda in Stein, Gold, Marmor und gebändigter Natur. Die Anlage, komponiert um ihr Herzstück, des Königs Schlafgemach, in dem sich die Achsen von Wasser und Sonne kreuzen, sendet Botschaften aus. Ludwig XIV. (idealerweise: Rickman selbst) verlässt Paris, das den Knaben mit der Fronde einst das Fürchten gelehrt hatte. In Versailles, Gegenmodell zum düsteren Louvre, wird er den Adel buchstäblich im Blick haben, ihn mit seiner göttlichen Nähe belohnen und zugleich an die goldene Kandare nehmen (und finanziell ausbluten). So wie die Steuerlast des Volkes schwer und schwerer wird, werden die Privilegien der Aristokratie geringer. Alles dies sollte man im Kopf haben, um die Geschichte in ihren Voraussetzungen und Wirkungen zu begreifen.
Rickman setzt dieses Wissen voraus. Sein charmanter und intelligenter Kostüm- und Historienfilm zeigt uns die Melancholie der Macht, die Noblesse (und Intrigen) des Adels und deren ästhetische Programmatik. Doch blendet er die andere Welt komplett aus, die 100 Jahre später die Barrikaden stürmt, nach Versailles zieht, die Königs-Familie zurück in die Hauptstadt holt und in die Bastille verbringt. Aber jetzt wird erst einmal gebaut – das Herz Frankreichs schlägt fortan fern des Volkskörpers, in einer künstlichen Kammer. Die Sonne kreist absolut um sich selbst.
Madame Sabine de Barras Stern aber geht auf: Anmutig, selbstbewusst, klug, zupackend, ohne Allüre und wenig zimperlich macht sie sich an die Arbeit. Mehr noch. Während ihrer Einführung bei Hofe zu Fontainebleau steht sie dem großen Ludwig Antwort. In einem blumigen Vergleich bringt sie das Blühen und Verwelken einer Rose als deren Auftrag und Natur gemäß in Beziehung zum labilen Status der gerade ihre Gunst als Favoritin einbüßenden Madame de Montespan. So stellt sie den Sonnenkönig für einen Moment in den Schatten. Das ist schon was. Wenn es erfunden ist, so doch schön und weise.
»Die Gärtnerin von Versailles«; Regie: Alan Rickman; Darsteller: Kate Winslet, Matthias Schoenaerts, Alan Rickman, Stanley Tucci; GB 2014; 116 Min.; Start: 30. April 2015.