REZENSION ANDREAS WILINK
Das erste Bild: eine Trompete. Was sonst. Sie liegt auf dem Boden einer Zelle im italienischen Lucca, 1966. Der Mann, der auf ihr spielt wie wenige andere, ist am Ende. Chet Baker hat sich und seine Karriere ruiniert. Jemand holt ihn raus und bringt ihn nach Hollywood, wo der 37-Jährige in einem Film über sich selbst die Hauptrolle spielen soll. Farbe für die Gegenwart – Schwarzweiß-Bilder für den Rückblick und das Filmprojekt, das nicht fertiggestellt wird. Chet verliebt sich in seine Leinwand-Partnerin Selma (Carmen Ejogo), die die Rollen von mindestens zwei Frauen in seinem Leben verkörpern sollte. Sie werden ein Paar, sie wird schwanger, aber dann …
Bilder, die zur Musik tanzen. Manchmal tanzt der Tod mit und oft die Angst, aber der Takt wechselt auch und dann löst sich alles auf in Gefühl, egal, ob der einst von Charlie Parker geförderte und wie »Bird« ebenso heroinabhängige Chet die Trompete bläst oder »My Funny Valentine« mit dem Instrument seiner Stimme singt (1952 hatte er den Song erstmals aufgenommen). Es so singt, dass auch Miles Davis spürt, dass hier ein weißer Farmerjunge aus Oklahoma sein Leben in die Noten legt und seine Musik nicht mehr nur »sweet like candy« schmeckt, gemacht für den Konsum und mit Blick auf Girls und Geld. Der James Dean des Jazz, der »King of Cool« wird in Robert Budreaus mehr Stimmungen als Situationen aufrufendem, fabelhaften Film gespielt von Ethan Hawke – es ist vermutlich seine beste Rolle.
Als ein Dealer Chet auflauert und ihm die Zähne einschlägt, scheint es vorbei mit seiner Kunst, zumal er schon vorher Probleme mit dem Kiefer hatte. Das künstliche Gebiss sitzt nicht richtig; wenn er das Mundstück der Trompete ansetzt, schmerzt es, bis Blut kommt. Sein Produzent Dick Bock glaubt nicht mehr an ihn, aber dann… Er macht eine Methadon-Kur, jobbt, probt und tritt wieder auf – im New Yorker Club Birdland, nicht zuletzt auf Fürsprache von Dizzy Gillespie. Das Heroin-Besteck in der Garderobe, Selma und das Publikum im Saal, Chet mit seinem Spiegelbild allein – und dann…? Sein letztes Jahrzehnt lebte er in Europa, wo Chet Baker 1988 in Amsterdam stirbt.
»Born to be Blue«; Regie: Robert Budreau; Kanada / GB; 97 Min.; Start: 8. Juni.