TEXT: ANDREAS WILINK
Eine Fanfare ertönt. Der rote Vorhang lüftet sich vor einer Leinwand und einer Stuhlreihe – und geht wieder zur. Noch sind alle Fragen offen, auf welche Weise das explosive Stück von Wolfram Lotz (»Wir befinden uns in einer Explosion«) nach dessen Uraufführung Anfang 2011 in Weimar zum Glühen gebracht werden soll. Dann ein zweiter und dritter Tusch, noch mal der Vorhang, wieder auf und zu. Auftritt Kay Voges, der sich etwas albern herumstotternd als »Schauspiel-Dinx« vorstellt und erläutert, dass das Unmögliche möglich gemacht werde: im Theater, aber nicht mit dessen Mitteln, sondern mit denen des Films. Sprengkräfte setzen Fliehkräfte frei. Die Bühnenkunst verdünnisiert sich. Film ab für ein Oberhausener Manifest aus Dortmund.
In abendfüllender Länge inszeniert Voges mit Daniel Hengst an der Kamera und sieben Schauspielern, in ausgewaschenen Farben und mancherlei Grautönen »Einige Nachrichten an das All«, die mehr formal als inhaltlich eine Herausforderung darstellen. Und die in metaphysischer Anstrengung, mit viel negativer Energie, philosophischer Lust und medienkritischer Bewusstheit eine andere Heilsgeschichte erzählen, eine andere Vermessung der Welt vornehmen. Das Chaos ist der zu gebärende Weltgott, frei nach Büchner. Das Unvollkommene, in dieser Wirklichkeitsfiktion wird’s Ereignis. Kleinbürger-Vater und Unfallopfer-Tochter, krebskranke Kinder und eine Krankenschwester, ein Beckett-Paar namens Lum und Purl, ein Politiker namens Pofalla, ein Naturforscher namens Rafinesque, ein Dichter namens Kleist, als lebende Wasserleiche an den Strand gespült, sowie eine Art Talkshow-Reporter und einige buntflusige Außerirdische trotzen dem Leben und dem Tod, dem Sinn und dem Unsinn, dem Sein und dem Nichts, suchen Trost und das Glück. Mit Tricks, Effekten, Abstraktionen, Montage, Überblendung und Making-off-Spielchen bieten die 90 Minuten pantomimische Groteske, surrealen Horror, Comic und theaterhaftes Drama. Sie sehen dabei aus wie der frühe Polanski, der mittlere Schlingensief, der alte Klimbim-Pfleghar und der ewige Fellini. Der Crashkurs endet, nachdem der Kühlergrill eines VW-Golf die Leinwand aufriss, an der Rampe mit einem den Tod ironisch optimistisch um seine Endgültigkeit bringenden Song. Das Betrübliche des originellen, cinephilen Saisonstarts war höchstens, dass das Ensemble live auf der Bühne weit weniger spannend wirkte als im Film.