Ein sich nach hinten verjüngender Rahmen, abwechselnd schwarz und weiß, hat Lisette Schürer auf die Bühne gebaut. Das ist perfekt für die Farblicht-Spiele eines Robert Wilson, zugleich aber auch eine Erinnerung an das Barocktheater, in dem durch Gassen Dekorationen für wechselnde Szenen hereingeschoben werden. Mit Licht, Projektionen und knallbunten, fahrbaren Bühnenbildelementen wird der nüchterne Raum im Laufe des Abends zur wüsten Jahrmarktkulisse.
Ein kleines bisschen American Horror Story
Robert Wilsons Erstaufführung war 1990 von einer Stummfilm-Ästhetik und puppenhaften Personenführung geprägt. Viele Inszenierungen setzten daraufhin auf Gothic- und Steam-Punk-Elemente. Für Astrid Griesbach ist das in Gelsenkirchen zu naheliegend. Sie holt das deutsche Schauermärchen, das auf Carl Maria von Webers »Freischütz« basiert, aus dem Wald. Statt auf Hirsche wird in einer Schießbude auf Rosen gezielt. Treffer belohnt man hier mit Bergen an Stofftieren. Klingt niedlich, ist es dann aber doch nicht. Für das Jahrmarkt-Ambiente und die Kostüme von Atif Mohammed Nor Hussein könnte die »Freak-Show«-Staffel der Fernsehserie »American Horror Story« Pate gestanden haben. Dazu trägt auch bei, dass bis auf das Liebespaar Käthchen und Wilhelm und der Erzähler alle Rollen von Puppen besetzt sind. Deren surreale Lebendigkeit kann auch als Rückverweis und Umkehrung von Robert Wilsons Ästhetik gelesen werden.
Bei der Besetzung geht das Musiktheater im Revier einen speziellen Weg. Joachim G. Maaß ist der einzige Opernsänger. Mit der eigentümlichen Grandezza eines Friedrich Liechtenstein (»supergeil«) strampelt er auf immer neuen Fahrradmodellen durch die Szene. Als »Kuno« und Erzähler bringt er die Geschichte voran und kommentiert. Zu singen hat er extrem wenig. Sebastian Schiller, der gerade auch eine der Hauptrollen in »Frau Luna« singt, übernimmt den Wilhelm, adrett mit flachsblondem Haar und hellblauem Anzug. Die einzige Musicalspezialistin ist Annika Firley als Käthchen. Alle weiteren Rollen werden vom »Devil Team« übernommen. Gloria Eberl-Thieme, Seth Tietze, Marharyta Pshenitsyna, Daniel Jeroma und Merten Schroedter übernehmen gemeinsam und einzeln die Führung der Puppen, schauspielen und singen. Herausragend ist hier Daniel Jeroma, der den Teufel »Pegleg« singt. Jeroma bleibt ganz bei sich, findet einen persönlichen, überzeugenden Sound. Annika Firley vermeidet einen allzu musicalhaften Ton und trägt so zum geschlossenen Klangbild des Ensembles bei. Sebastian Schiller ist ihr auch im direkten Duett ebenbürtig. Heribert Feckler führt die zehnköpfige Band aus Mitgliedern der Neuen Philharmonie Westfalen stilsicher durch den rauen Kirmes- und Zirkus-Sound der Waits’schen Partitur.
Die wichtigste Inspirationsquelle ist für Griesbach und ihr Team offensichtlich William S. Burroughs. Der Beatpoet, der mit Drogen und Schreibtechniken experimentierte, ist an diesem Abend allgegenwärtig. Am deutlichsten wohl, wenn der Schriftzug »Cut Up« aufleuchtet, während ein Text ebendieses literarischen Genres gesprochen wird, genauso aber in den vielen psychedelischen Mustern und Spiralen, im absurden Humor und den Insignien des Pop, die verwendet werden – etwa wenn sich Gloria Eberl-Thiemes in eine Mickey Mouse verwandelt.
»The Black Rider« in Gelsenkirchen zeigt deutlich, wie gewinnbringend die seit 2019 bestehende Puppenspielsparte für das Musiktheater sein kann. Abstands-, Hygieneregeln und Plastikvisiere beeinträchtigen die Inszenierung kaum, wenn auch ein vollbesetzter Saal beim Schlussapplaus schöner wäre.
24. und 27. September, 10., 11. und 18. Oktober, 8. und 14. November, 31. Dezember, 17. Januar, www.musiktheater-im-revier.de