TEXT: STEFANIE STADEL
Lange Tische voller Plastikschüsseln. Darin dick die Ölfarbe klebt – giftgrün, matschbraun, sonnengelb, silbergrau, fleischig rosa…. Pinsel aller Stärken, bis über die Stiele verschmiert, stecken in der Masse fest. Aus nur acht Tönen mischt sich Cornelius Völker sein Farbuniversum zusammen. Reichlich Nachschub in Dosen und Kistchen stapelt sich auf Regalbrettern im Atelier und erzählt von der reinen Lust an der Farbe, die sich auf kleinen und riesengroßen Leinwänden schwelgerisch niederschlägt. Als zart lasierter Hauch und gleich daneben als dick verklumpte Paste. Schwammig am nackten Männerbauch, wirbelnd im strubbeligen Fell eines Meerschweinchens, glatt gekämmt über einem schütter behaarten Hinterkopf.
Zur Zeit allerdings ist er abstinent, sitzt bei grünem Tee aus der Thermoskanne mitten im Düsseldorfer Studio – kein Fleck auf Jackett oder Kordhose. Der Stoff in Völkers Farbnäpfen scheint schon anzutrocknen, denn seit Wochen ist er nicht mehr zum Malen gekommen. Zu viel hatte er um die Ohren mit seiner Professur an der Kunstakademie in Münster und noch mehr mit der großen Werkschau, die nach Stationen in München, Ludwigshafen und Goslar jetzt in der Kunsthalle Barmen in Wuppertal angekommen ist. Rund 70 Gemälde stehen dort für 20 Schaffensjahre.
Natürlich hat er auch schon andere Sachen gemacht. Von Anfang an begleiten Fotos das Werk des 46-Jährigen. Mit vier Freunden drehte Völker sogar einmal einen echten Spielfilm. Hinzu kommen Druckgrafiken und Zeichnungen, die vorbereitend oder begleitend zu den Gemälden entstehen. All das spielt für ihn aber nur am Rande eine Rolle. Völker ist Maler und wollte es immer sein.
Auch wenn er damit zu Studienzeiten an der Düsseldorfer Akademie ziemlich einsam dastand. Die große Zeit der Neuen Wilden und ihrer heftigen Malerei war vorüber. Alles drehte sich damals um das Fotografenpaar Becher. Auch der Künstler-Asket Gerhard Merz habe damals eine einflussreiche Klasse geleitet, erinnert sich Völker. Er selbst aber wählte A. R. Penck als Lehrer und wechselte später zu Dieter Krieg, der ihm jenen zweifelnden Umgang mit dem alten Medium eingeimpft haben mag.
Völker nennt es »Zögern, Misstrauen, Skepsis«; diese Dinge schwängen immer mit in seiner Kunst. »Auch wenn man es meinen Arbeiten nicht ansieht – und auch gar nicht ansehen soll.« Vielmehr möchte der Maler das Gefühl vermitteln, die Bilder seien ganz leicht und einfach gemacht, ohne jede Anstrengung, Mühe. »Sie sollen kein verquältes Scheitern am Metier dokumentieren«, so sein Wunsch. »Keine Aufladung, Aufwühlung widerspiegeln.« Das tun sie auch nicht und haben es nie getan.
Der Maler war noch nicht lange fertig mit dem Studium, als er 1996 begann, niedliche kleine Putti auf der Leinwand zu zermatschen. Mit gemalten Fliegenklatschen ging er auf die kleinen Kerlchen los. Drückte ihnen die geometrische Gitterstruktur des Mordinstruments ins wohlig runde, fleischig weiche Körperlein. Doch sehen die Bilder seiner »Puttiklatsch«-Serie im Ergebnis gar nicht nach blutigem Massaker aus – vielmehr gleichen sie regelrechten Farbschlachten. Er habe, so der Künstler, diese lieblichen, holdseligen Geschöpfe der Kunstgeschichte zu dem machen wollen, was sie einmal waren: zu Farbe, zu nichts als Farbe.
Vieles von dem, was für jene eher kleinformatigen Engelsbilder wesentlich war, wird es bleiben in Völkers Werk, das ohne Sprünge, Brüche und größere Überraschungen – »homogen«, wie man sagt – daherkommt und seine Stellung behauptet. Ohne Zweifel ist Völker damit erfolgreich, aber kein Star. Und er benimmt sich auch nicht so. Durchaus selbstbewusst, aber völlig frei von Allüren pflegt der freundliche Maler eher das Understatement. Sieht sich sehr treffend am Rande der Trends, Booms, Hypes, die den Kunstmarkt in Schach halten.
Auch vom Malerei-Run vor ein paar Jahren habe er kaum etwas mitbekommen. Als alle Welt auf die Leipziger Schule flog, auf das Narrative, die Geschichten. »Das alles will ich nicht in meinen Bildern.« Tatsächlich haben sie überhaupt nichts Erzählerisches – die Tampons nicht und die Teebeutel nicht, die Schleifen und Schwimmer, die Bücher, Bäuche, Nabel, Badelatschen. Zumal Völker diese Motive meist isoliert, oft vor glattem, ganz neutralem, zuweilen fast artifiziell anmutendem Farbgrund in Szene setzt. Reihenweise, denn nur in der Werkgruppe erkennt er eine Möglichkeit, sich dem Gegenstand anzunähern.
Das wirkt, ob er will oder nicht, auch provozierend. Denn was Völker da so beharrlich in den Fokus rückt, ist für sich betrachtet oft ziemlich haarsträubend: absolut abgedroschen wie Badende, kitschig wie die vollen, glänzenden, viel zu roten Lippen, extrem banal wie 66 süße Meerscheinchen. Oder einfach nur unsäglich wie schlaffes Fleisch im fülligen Feinrippschlüpfer.
Warum malt er so etwas? Noch dazu reihenweise, oft riesengroß und in den knalligsten Farben. Es sei eben jener Widerstand, der ihn reize. »Wenn etwas sich so völlig dagegen sträubt, gemalt zu werden.« Die Frage für ihn sei dann, ob seine Malerei so ein Motiv aushält, ob sie es bewältigen kann. Daneben darf man noch allerlei weitere Hintergedanken im Künstlerkopf vermuten – vor allem die Malereigeschichte spukt da wohl munter herum. Nicht nur in Gestalt von Putti unter Fliegenklatschen.
Wenn Völker etwa das Feuerzeug feiert, dann tut er es nicht, ohne dabei an die Flammen seiner Vorgänger zu denken – vom Kerzenschein in den barocken Nachtstücken eines Georges de la Tour bis zu Gerhard Richters teuer bezahlten Kerzen-Bildern. Wenn er Ballerinas auf die Leinwand bringt, hat das garantiert etwas mit Edgar Degas zu tun. Und wenn der Maler die quadratische Leinwand mit brauner Farbe in eine gigantischen Schokotafel verwandelt, dann bezieht er sich dabei ausdrücklich auf Frank Stellas »Shaped Canvases«, jene »geformten Leinwände«, in denen sich Bild und Format wechselseitig bedingen.
Auch Hände hat er mal gemalt, referierte in diesem Fall allerdings nicht auf künstlerische Vorbilder. Vielmehr reizte ihn das Motiv, weil es so gefürchtet sei unter den Kollegen. Die Hände in Völkers Bildern gehören Frauen – sie halten Taschen, legen sich flach aufs Gesäß. Oder sie hängen untätig herab wie in der Version, die gerade an einer Atelierwand lehnt. Unberührt lassen diese Hände den Rock in ihrer Mitte für sich stehen, überlassen ihn ganz der Farbe. In vollen Pinselzügen und raffinierten Tönen entfaltet sie sich – bis der Rock kein Kleidungsstück mehr ist, sondern ein Stück Malerei.
Womit man wieder beim Kern von Völkers Kunst ankommt. Denn die gegenständlichen Motive sind hier im Grunde nur Nebensachen. Die Malerei ist das, was seine Arbeit ausmacht: die Farben, der oft virtuose Umgang mit dem Pinsel, auch jenes eigenartige Miteinander und Ineinander von Gegenstand und Abstraktion.
Der Rock wird zum malerischen Spielplatz, der zermatschte Engel zum verführerischen Farbspektakel, der Seitenschnitt zwischen zwei Buchdeckeln zum abstrakten Brushstroke. Wie fließend die Übergänge von einem ins andere sein können, lässt sich sehr schön beobachten, wenn Völker einen Mülleimer ausleert, um den teilweise recht ekligen Inhalt mit Pinsel und Farbe übergroß auf die reinlich weiße Leinwand zu streuen und zu schlabbern.
Zerknautschte Haribotüten, ausgequetschte Orangen, etwas, das aussieht wie ein Stück Bauchspeck, Kirschen, halb oder ganz zerdrückt, mitsamt des Saftes. Dazwischen schimmelige Klumpen, bräunliche Krümel, schleimiges Grün, flüssiges Gelb. Der Gegenstand gerät aus der Fassung, löst sich in Farbe auf. Mit Blick auf das große Müllbild in Völkers Atelier kann man nachvollziehen, wie die Farbe selbst zum Gegenstand wird.
Die Teetassen sind nun geleert, und die Entbehrung hat für Völker demnächst ein Ende. Dann wird er die dünne Haut von den angetrockneten Ölfarben ziehen, die Masse in den Schüsseln anrühren, um weiterzumalen. Und dabei entspannt den Trends um ihn herum hinterher sehen. Man lerne es, so Völker, »mit einer gewissen Gelassenheit zu sehen, wie die Wellen so über einen hinweggehen.«
Von der Heydt-Kunsthalle im Haus der Jugend Barmen, Wuppertal; 26. Februar bis 27. Mai 2012; Tel. 0202/563 6571. www.von-der-heydt-kunsthalle.de