TEXT: ANDREAS WILINK
Spricht der Mann mit sich selbst? Man sieht es nicht, bis die Kamera sich ein wenig von ihm entfernt und zu einen Füßen die Gräber zeigt, vor denen er steht: das seines mit 13 Jahren bei einem Unfall getöteten Sohnes und das seiner Frau Johanna, die sich danach das Leben genommen hat. Das ist jetzt ein paar Monate her. Der knapp 60-jährige Josef Menzel lebt allein in einem riesigen maroden Anwesen aus Familienbesitz in Thüringen, das ihm nach der Wende wieder zuerkannt wurde. Noch auf dem Friedhof trifft er eine Frau, Nina, eine Kusine Johannas, die ihm
ihren Sohn Simon vorstellt. Man unterhält sich, er lädt sie zu sich ein, man sieht sich wieder, und bald schon ziehen Simon und dessen junge Frau Milena in Josefs geräumige Villa ein. Zusammen machen sie klar Schiff, räumen auf, säubern und reinigen auch das düster mürbe Schwimmbad. Bald folgen Nina und ihr Lebensgefährte Konstantin – wie Milena ein Rumäne, kurz darauf noch Milenas zehnjähriger Sohn Marco, dessen Vater unbekannt ist. Auf Stippvisite kommen Klienten von Konstantin, der sich angeblich als Anwalt osteuropäischer Einwanderer engagiert. Weshalb er dafür einen Revolver braucht, wer weiß?
Es ist so wenig gewiss wie die genaueren Beziehungen zwischen den
parasitären Personen und deren charakterliche Eigenschaften. Die Sippschaft okkupiert das Haus, macht sich breit und bedrängt mit emotionaler Zuwendung, deren Zuvorkommenheit etwas Impertinentes hat, den sich duldend und passiv verhaltenden, zusehends konsternierten Josef. Als er irgendwann seine »Gäste« nachdrücklich bittet, sein Haus zu verlassen, und das Arrangement aufkündigt, bleibt die Aufforderung folgenlos. Es liegt etwas Unheilvolles über dem Ganzen, und erinnert – zumindest bis zu dem Moment, da die Dinge aus dem Ruder laufen und es Tote gibt – an eine atmosphärische Erzählung von Henry James, in der Art von nüchternem Rausch und einer diffus lähmenden Spannung. Der Zuschauer von Dito Tsintsadzes Film, den Burkhart Klaußners unangestrengtes, leises Spiel trägt, sehen in Josef das sich selbst verlierende Opfer. Doch das täuscht. Man verkennt lange, dass er dabei ist, das Vakuum seines Lebens mit neuem Inhalt zu füllen. Er arbeitet an der Rekonstruktion der Kleinfamilie.
»Invasion«; Regie: Dito Tsintsadze; Darsteller: Burkhart Klaußner, Heike Trinker, Merab Ninidze, David Imper, Anna F., Jasper Barwasser; D/Ö 2012; 102 Min.; Start: 28. Februar 2013.