TEXT: ANDREAS WILINK
Dies ist ein Film über unser Deutschland, dem – seinem Drehbuchautor zufolge – »Faserland«. Es erzählt von einem Polizisten (Roland Zehrfeld), der seine Uniform lieber mit einem Ganzkörper-Teddybärkostüm tauscht, um endlich ein Kuschelgefühl zu haben, das seine Freundin (Sandra Hüller), die verbiesterte und bourgeoiseDokufilmerin, nicht erübrigt; von einer einsamen Frau (Margit Carstensen) im Altenheim und ihrem neurotischen Fußpfleger (Michael Maertens), von ihrem erwachsenen Sohn (Bernhard Schütz), dessen Frau (Corinna Harfouch) und Enkelsohn Maximilian – blasierten Leuten, die die ästhetische Existenz über die ethische stellen; einem Lehrer und seinen Schülern bei der Klassenfahrt in eine KZ-Gedenkstätte; und von einem Einsiedler und seinem Raben. Deutschland begegnet uns als pädagogische Provinz, als Sozial- und Therapiestation, als Geschichtswerkstatt, als Land mit Hygienebewusstsein, als Liebeswüste mit Menschen von gutem Geschmack, gesundem Selbsthass und kranker Seelenlage.
Frauke Finsterwalder (die Regisseurin scheint tatsächlich so zu heißen) und Christian Kracht haben einen Neo-Realismus im Sinn, den subversiv zu nennen ebenso richtig oder falsch wäre, wie von Ironie zu sprechen. Die Schärfe und Porentiefe von David Lynchs »Blue Velvet« lässt sich jedoch schwerlich auf bundesrepublikanische Alltags-Monstrositäten anwenden, und auch Ulrich Seidels Austro-Analysen passen nur bedingt.
Nach einer Stunde fühlt man sich von all dem Bizarren angeödet, dann erwacht das Interesse an den vielen falschen Bewegungen der Figuren, die zu fürchterlichen oder fürchterlich verkehrten Richtungs-Wechseln und folgenreichen -Entscheidungen führen. Plötzlich sind da ein schneidender Schmerz, ein abruptes Erschrecken, eine große Leere, die das Urteil »Film als Glosse und als FAS-Kolumne« für einige Zeit aufheben.
»Finsterworld«; Regie: Frauke Finsterwalder; Darsteller: Christoph Bach, Margit Carstensen, Jakub Gierzat, Corinna Harfouch, Sandra Hüller, Carla Juri, Johannes Krisch, Michael Maertens, Bernhard Schütz, Roland Zehrfeld; Deutschland 2013; 90 Min.; Start: 3. Oktober 2013.