Text Nicole Strecker
Jetzt bloß nicht sentimental werden. Fabrice Mazliah hat nicht viel übrig für Nostalgie. Er war zwar der letzte, der für die bisherige Forsythe Company choreografiert hat, William Forsythe selbst hatte ihn darum gebeten. Aber fragt man ihn, ob der Auftrag eine Bürde war, lacht er nur. Und analysiert die Lage pragmatisch: »Es ist kein Ende, es ist Teil einer Evolution«. 18 Jahre lang, seit 1997 bis zu ihrer Auflösung war Mazliah Mitglied der Kompanie, er habe es nie bereut, wenn Dinge zu Ende gingen, Stile und Formen aufgegeben wurden. »Etwa die Spitzenschuh-Stücke aus den 80er, 90er Jahren: Irgendwann war der Look ausgereizt. Bills System wurde von so vielen Menschen aufgegriffen, es ist inkorporiert in anderen Arbeiten. Es bleibt präsent trotz Absenz.«
So rational, so männlich. Mazliah fiel immer als breitschultriger Tänzerkerl auf. Markante Gesichtszüge, Typ Ken, von dem Barbies träumen, nur eben als dunkelhaarige, französisch-schweizerische Genf-Edition. Er kann es sich leisten, cool zu sein, muss als hochbegabter Choreograf der Ex-Forsythe-Truppe wohl erst mal keine Zukunftsängste haben. Seine 2009 von ihm und den Forsythe-Kollegen Ioannis Mandafounis and May Zarhy gegründete Formation »mamaza« ist eine etablierte Marke; ihr verrücktes Simultan-Sprech-Tanz-Stück »Eifo Efi« etwa zeigt, wie eigenständig Bewegungssprache und konzeptuelle Ansätze sind. Intelligent wie der frühere spiritus rector, aber noch witziger.
Er wollte »keine Hommage oder Retrospektive machen«, sagt Mazliah über sein Abschiedsstück für die alte Forsythe Company, das derzeit tourt, auch in PACT Zollverein. Ihn »interessierte die Idee des Tanzerbes und -wissens: Was genau ist es, das wir als Forsythe-Kompanie wissen?« So entstand »In Act and Thought«, ein kluges, famos selbstironisches Stück über das Produzieren eines Stücks. Über das Denken während des Tanzens. Über die Sehnsucht nach einer Semantik von Bewegungen. Und über den Besitzanspruch an Bewegungen: Wem gehört eine Geste, eine Sequenz, ein Stil? Nicht ganz ernst gemeint, aber für einen Ex-Forsythe’ler symptomatisch.
Das Publikum sitzt um die Bühnenfläche herum, betrachtet die Tänzer beim Warmup. Ein letzter Blick auf die Gruppe, dann unterteilt ein raffiniertes System schwarzer Vorhänge die Zuschauer in acht Sektionen. In den Séparées wird dem bekanntermaßen von Forsythe-Stücken leicht überforderten Zuschauer eine Art »Tanz-Guide« an die Seite gestellt. Ein Tänzer, der alles, wirklich alles preisgibt, was er über die Bewegungssequenz eines Kollegen weiß. Da gebe es etwa eine Tänzerin, die gern ihren Atem mit der Hand von ihrem Mund wegfange und ihn dann in der Achselhöhle verstecke, erfährt man. Irgendwann wird diese Kollegin tatsächlich das Séparée betreten, tanzen. Dank der lustvollen Indiskretion weiß man genau, welche Marotten nun kommen werden – oder doch nicht? Natürlich ist jede Interpretation abstrus. Jede Versprachlichung bleibt hinter der Komplexität und Poesie von Bewegung zurück. Es sei interessant, »wie delikat Bedeutungen im Tanz sind«, sagt Mazliah: »Die Lesart lässt sich nie so präzise kalkulieren wie die von Worten. Eine winzige Verschiebung kann alles verändern.« Was für ein ausgebuffter Abschluss. Die viel beklagte Hermetik der Forsythe-Stücke endet mit einem philosophischen Lecture-Tanz, der alles erklärt. Und alles bleibt Geheimnis.
»In Act and Thought«: 6. und 7. November 2015, PACT, Essen.