TEXT: INGO JUKNAT
Die Rheinland-Connection hat das Groninger »Simplon« fest im Griff an diesem Abend. Im Untergeschoss des Clubs spielt die Düsseldorfer Band Stabil Elite, im Obergeschoss stellen sich Vimes aus Köln vor. Es ist ein ungleiches Duo. Stabil Elite haben 2012 den Landesmusikpreis »popUP NRW« gewonnen, 10.000 Euro gab es dafür. Ihr Debütalbum »Douze Pouze« wurde von taz bis FAZ gelobt. Nur das Ausland kennt sie noch nicht.
Bei den Kölner Kollegen ist es genau umgekehrt. Zuhause in Deutschland sind sie noch weitgehend unbekannt. Dafür haben Vimes schon in Frankreich und Mexiko gespielt – und das nicht im Jugendzentrum. In Mexiko durften sie ein Konzert für die Superstars von Hot Chip eröffnen. 4.000 Zuschauer waren dabei, kein schlechter Einstand für drei Studenten aus Köln. Vielleicht erklärt der Hot-Chip-Hype, warum die Show in Groningen besser angenommen wird als die von Stabil Elite. Im Obergeschoss des Simplon stehen die Zuschauer so dicht gedrängt, dass manche eine neue Form des Klatschens erfinden: Hand auf Ober-schenkel. Für mehr reicht der Platz nicht.
Mit dem Andrang habe sie nicht gerechnet, sagt die Band ohne Koketterie. »Eine Minute vor unserem Auftritt wehten hier noch die Strohballen durchs Bild«, meint Vimes-Drummer Johannes Klingebiel nach dem Konzert. »Aber nach zwei Tönen war der Laden voll!« Klingebiel sitzt mit seinen Kollegen Azhar Syed und Julian Stetter auf einer Treppe im Backstagebereich des Simplon. Im Hintergrund singt sich eine bärtige Hippieband aus Spanien für den nächsten Auftritt warm. Die Künstler-Betreuerin reicht ein paar Heineken-Dosen in Richtung Treppe: »Great show, guys!«
Sind Vimes sich der Bedeutung des Eurosonic bewusst? »Ehrlich gesagt, wir hatten im Vorfeld des Festivals soviel zu tun, dass wir über diesen Auftritt gar nicht soviel nachgedacht haben«, gibt Keyboarder Stetter zu. »Aber wir wissen natürlich, dass das Eurosonic eine große Nummer ist und das Konzert hier nicht irgendeins.« Ob sie von der souveränen Leistung in Holland profitieren, muss sich zeigen. Gut möglich, dass sie sich gerade ein paar Festivalshows im Sommer erspielt haben. Ein außergewöhnlicher Termin steht jetzt schon fest: Im März treten Vimes bei der Canadian Music Week in Toronto auf.
Zwei Etagen tiefer hat die Bewährungsprobe gerade erst begonnen. »Hello, we are Stabil Elite from Düsseldorf«, ruft Sänger Lucas Croon hörbar nervös ins Publikum. Er trägt ein Sakko mit hochgeknöpftem Hemd, dazu Designerschuhe, wie seine Bandkollegen. Der elegante Look passt zur Musik – und zum Mode-Image von Düsseldorf. Auch musikalisch zapfen Stabil Elite die Traditionen ihrer Heimatstadt an, von Kraftwerk-Sounds bis zur arkanen »Cosmic-Disco«, wie sie manchmal im »Salon des Amateurs« läuft.
Etwa 30 Zuschauer haben sich beim Konzert in Groningen eingefunden, es könnten mehr sein. Mit langen Instrumentalstücken gehören Stabil Elite nicht zu den »Einsteigerbands« beim Eurosonic. Es dauert ein paar Songs, bis das Publikum auftaut. Dann tut es auch die Band. »Neuken in de keuken!« kalauert Croon ins Mikrofon und grinst. Es ist der eine holländische Halbsatz, den fast jeder Ausländer kennt und der – anderslautenden Gerüchten zum Trotz – nicht »Hallo, wie geht’s?« heißt. Der Saal findet den Scherz eher so mittel. Die Musik kommt besser an.
Trotzdem herrscht in der nächsten Stunde ein ziemliches Kommen und Gehen. Es liegt nicht an der Band. Die Aufmerksamkeitsspannen sind kurz bei Europas wichtigstem Newcomer-Festival, viel Zeit hat das Publikum bei dem Riesenangebot nicht zu verlieren. »Mehr als fünf bis sechs Bands am Abend schafft man nicht«, bestätigt Hamed Shahi von der Düsseldorfer Konzertagentur SSC. Er fährt jedes Jahr mit seinem Team nach Groningen – nicht nur, um neue Bands zu finden. »Für uns geht es vor allem ums Networking. Wir laden Festivalbooker ein, sich unsere Künstler anzuschauen, damit sie für den Sommer gebucht werden.«
Acht SSC-Bands spielen an den vier Eurosonic-Tagen, ein Großteil der Künstler stammt aus dem Ausland. Zu den Hits aus dem Repertoire zählen in diesem Jahr Ewert & the Two Dragons aus Estland sowie der belgische Drum’n’Bass-Produzent Netsky. Passend zum Branchenklischee, laufen viele Geschäfte informell am Tresen ab. Nachtrhythmus und Trinkfestigkeit sind dabei durchaus von Vorteil. Konzertbesuche stehen nicht immer im Vordergrund. »Für mich ist es wichtiger, mich mit Band-Managern in irgendwelchen trashigen Bars zu treffen«, sagt Shahi. »Da wird dann schon mal bis vier Uhr morgens geredet und gesumpft.«
ES STEHEN 36 BÜHNEN IN DER STADT
An Verhandlungsorten wie diesen herrscht kein Mangel in Groningen. An Clubs auch nicht. Die Uni-Stadt hat nur 190.000 Einwohner. Und doch stehen 36 Bühnen zwischen Museumsinsel und Noorderhaven zur Verfügung. Das von Grachten eingerahmte Stadtzentrum ist überschaubar, länger als zehn Minuten läuft man selten von Ort zu Ort. In den vier Eurosonic-Tagen ist Groningen ein Gewusel aus Pop-Fans, von denen viele in bimmelnden Fahrrad-Konvois zwischen den Bühnen hin und herpendeln und von ungeübten Fußgängern gute Ausweichreflexe verlangen.
Die auftretenden Künstler stammen aus ganz Europa und sind so unterschiedlich wie die Kulissen. Prachtbauten wie die 130 Jahre alte Stadsschouwburg werden ebenso bespielt wie sympathisch-verschrammelte Rockbars von »De Spieghel« bis »Shadrak«. Hinzu kommen Institutionen wie die Minerva Art Academy, das Groninger Museum oder das »Forum Image«, die normalerweise gar keinen Musikbezug haben. Vom winterlichen Termin einmal abgesehen, sind die Bedingungen für ein Festival ideal.
»Ich kenne keine andere Stadt, die eine solche Infrastruktur für Konzerte hat«, sagt Sven Städtler von der Berliner Musikagentur »Verstärker«. Für ihn geht es beim Eurosonic vor allem um den Kontakt zu neuen Bands und deren Management. In den nächsten Monaten soll Verstärker u.a. die englische Band Elephant auf dem deutschen Markt promoten. In Groningen sieht Städtler seine künftigen Schützlinge zum ersten Mal live. Mit dem Konzert im Spieghel ist Städtler hochzufrieden: »Das war wirklich einer meiner Favoriten im Programm.«
HONIG IST DABEI
Favorit unter den NRW-Acts dürfte in diesem Jahr Stefan Honig sein. Der Düsseldorfer spielt nicht weniger als fünf Konzerte beim Eurosonic, drei im regulären Festivalprogramm und zwei Sondershows. Dass es so viele sind, hat auch mit den guten Holland-Kontakten seines Labels zu tun. Letztes Jahr hat Honig bei Haldern Pop Recordings unterschrieben, einem Ableger des renommierten Festivals am Niederrhein. So wie dort häufig Bands aus dem Benelux-Raum auftreten, zeigt das Eurosonic auch Acts von Haldern Pop. Was natürlich nicht heißt, dass die Konzerte Selbstläufer wären. Für Honig ist das Eurosonic genauso Neuland wie für die meisten Konkurrenten. Und doch: Fünf Konzerte in vier Tagen spielen die wenigsten. »Wir sind superzufrieden«, erzählt Honig nach seiner tour de force. »Die Shows mit Band waren alle pickepacke-voll.« Für den WDR hat er obendrein zwei »Rockpalast«-Sessions ohne Publikum aufgenommen.
Während die Band noch zusammenräumt, ist Moderator Manuel Unger schon wieder eine Station weiter. Gerade hat er ein Konzert im altehrwürdigen »Kruithuis« aufgezeichnet. Jetzt steht er in der Kälte und lotst den WDR-Wagen aus einer winzigen Parklücke. Während er mit den Armen gestikuliert, spricht er ein freundliches Lob über das Festival. Dann muss es weitergehen. 20 Livemitschnitte und 15 Interviews wollen geführt werden. Kein schlechtes Pensum, selbst für Eurosonic-Verhältnisse.
www.eurosonic-noorderslag.nl + www.vimesmusic.com + www.stabilelite.net + www.honigsongs.de