Volker Lösch ist in NRW unterwegs. Im Theater Bonn inszenierte er eine Studie der Angst mit Rückbezug auf die Hexenverfolgung vor 400 Jahren in eben dieser Stadt. Am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier holte er Arbeitslose auf die Bühne, um Lohnarbeit und ihren sinkenden Wert zum Wut-Thema zu machen. Und jüngst verfasste er – wie üblich zusammen mit dem Autor Ulf Schmidt – für die »ungleichste Stadt Deutschlands«, wie Lösch Essen nennt, ein Baulöwen-Spektakel, das die großen Themen Klimawandel, verheerender Ausbau des Hyperkapitalismus und soziale Ungleichheit anpackt. Als Regisseur arbeitet Volker Lösch stets gegenwartsbezogen, seine Produktionen entwickelt er in und für eine Stadt.
In Essen – wie in vielen anderen Ruhrgebietsstädten auch – ist das Nord-Süd-Gefälle massiv. Hier die Problemviertel, dort die Stadtvillen, getrennt durch die Autobahn A 40, die gerne auch »Sozial-Äquator« genannt wird. In »AufRuhr«, einer fiktiven Kriminalgeschichte, die Lösch und Schmidt zusammen mit Christine Lang geschrieben haben, träumen Investorin, Bürgermeister und Bauunternehmerin den Traum von Essens Zukunft, »Essen 5.0« – ein Großprojekt, das soziale, sichere und barrierefreie Wohnungen anpreist, dafür allerdings den armen Norden räumen lassen muss.
Die brisanten Verbindungen: Die Tochter der Bauunternehmerin aus dem reichen Süden entlarvt das Projekt als ökologische Katastrophe und postet aktivistische Videos. Adile, gebürtige Gelsenkirchenerin mit kurdischen Wurzeln, wohnt im Norden und putzt im Süden, und zwar das Haus der Bauunternehmerin. Lena und Adile tun sich als Widerständlerinnen zusammen, besetzen zusammen mit Hacker Perry und Rentner Grube (Ex-Bergarbeiter) die Häuser und den Untergrund (Grube kennt die Schächte). Der Kampf geht weit und weiter – Gewalt scheut keine der beiden Seiten – Bürgerkrieg, bis zum Mord: Der Polizeikommissar erschießt den Bürgermeister, die Bauunternehmerin verstößt ihre Tochter, die Widerständler rufen die Autonome Republik Ruhr aus. Was für ein Drama!
Lösch und sein Autorenteam scheuen weder das Getöse noch die Schwarz-Weiß-Malerei. Jede Figur ein Extrem: Janina Sachau zeigt eine teuflische Investorin mit gegelten Haaren und fiesem Lachen, die auf hohen Schuhen über Leichen geht. Der Polizeikommissar Reich(!) (Philipp Noack) lebt faschistoide Tendenzen grob und offen aus. Anna Bardavelidze beherrscht als Adile Ton und Tanzmoves der »Straße«.
Politisches Theater in der Raumbühne
Dabei kommen sie einem ziemlich nah, die Darstellenden, zumindest räumlich. Das Publikum sitzt auf Drehhockern im Saal, gespielt wird längs dazwischen und auf den Seitenbühnen. Der Raum ist umgeben von Videoleinwänden, auf denen Szenen der Stadt – vom Taubenschlag über den Wahlkampf in der Fußgängerzone bis zum Steeler Wasserturm, einem zentralen Schauplatz des Kampfes der Roten Ruhrarmee 1920 – gezeigt werden. Und auch Live-Szenen und Interview-Statements junger Aktivist*innen. Denen geht es um Antifaschismus, Klima, Kunst und Mitspracherecht. Die Raumbühne, die Architekt Werner Ruhnau entworfen hatte, und die zu Wort kommenden Laien – sie sind für Lösch Ausdruck eines demokratischen Theaterverständnisses.
Löschs Antrieb ist stets politisch motiviert, sein Anspruch nicht weniger als der Wille nach Veränderung durch Sichtbarmachung. Sein Theater ist keines der Zwischentöne, es ist laut, provozierend, anstrengend und eben auch simplifizierend. In »AufRuhr« geraten Story und Figuren in ihrer Vereinfachung oder besser gesagt Vergröberung aber derart ins Groteske, dass jede mögliche mahnende Wirkung verpufft.
Termine: 9., 10., 26. und 27. Februar