Zu Beginn ist es das Paradies. Ein Küstenstädtchen am Mittelmeer, eine sonnenüberflutete Terrasse, Orangenbäume und Brandung. Nur ferne Polizeisirenen erinnern Paul Neulich daran, dass es »noch Unglück gibt auf dieser Welt«. Neulich, Mitte 40, schreibt unter Pseudonym als Benimmpapst »Andreas Sternberg« seit Jahren gestelzte Stil-Kolumnen für ein Magazin. Er ahnt bereits, dass er ein Mann von gestern ist. Sonja hingegen hat sich von Paul scheiden lassen, schmeißt endlich dessen gesammelte Spezialitäten aus ihren Urlauben aus dem Küchenschrank – »Wir haben Senf von den Kapverden, dachte sie, wie sagenhaft bescheuert das ist.« – und wird nach einem Talkshowauftritt als Feministin gefeiert. Und Tin Hasenglock liegt nach einem Terroranschlag im Flughafen schwer verletzt unter einem Gepäckwagen und lernt später im Krankenhaus Tove kennen, die eine Bio-Bäckerei in die Luft jagen will.
»Der restliche Sommer«, das klingt nach leichter Wellnessliteratur für die Sonnenliege, aber dieser Eindruck führt auf eine falsche Fährte. Nur langsam fügt Max Scharnigg das Bild zusammen, verknüpft die Leben seiner Protagonisten raffiniert miteinander und baut eine Welt, die nicht recht einzuordnen ist. Ein verändertes Paralleluniversum oder doch eine nahe mögliche Zukunft? Alles scheint auf den ersten Blick normal, wären da nicht die dauernden Terroranschläge, die radikalisierten feministischen Gruppen, ein merkwürdiges Krankenhaus und das elfenbeinturmartige »Retroviertel« mit seinen Bio-Bäckereien und »echten Zeitungen« aus Papier. Das Unbehagen wächst, es wird ungemütlich.
Zum Glück ist dieser Roman kein angekitschtes Selbstfindungsbuch, stattdessen beschreibt der Autor poetisch, präzise und gleichzeitig beiläufig, wie es hinter den Fassaden und in den Filter-Bubbles seiner Generation rumort. Es wird nicht einfacher für Paul, Sonja, Sara, Tin und Tove. Es wird anders. Am Ende stehen sie alle vor neuen Tatsachen. Soweit sie noch stehen können.
Max Scharnigg: »Der restliche Sommer«, Hoffmann und Campe, Hamburg, 2018, Roman, 240 Seiten, 20 Euro