TEXT UND INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Das Festival des freien Theaters heißt »Impulse«. Es wurde 1990 vom Kultursekretariat Wuppertal gegründet und ist immer noch fest in dessen Hand. Jeder kennt es. Es findet in Nordrhein-Westfalen statt, hat aber das gesamte außerstadttheaterliche Theater der drei deutschsprachigen Länder im Blick – mindestens. Best of Off eben. Natürlich ist es kein Zufall, dass das 15. »Impulse«-Festival ganz genau 20 Jahren nach dem Mauerfall stattfindet. Denn mehr noch als 1989 stellt »Impulse« eine Wende dar: die Wende des freien Theaters vom verachteten Häufchen der Freizeitdarsteller zum umworbenen Creative Pool of Postdramatic High Performers. Zu den »Impulsen« eingeladen zu werden, bedeutet mittlerweile geradezu die Eintrittskarte für die Burgtheater-Intendanz. Igor Bauersima, Niklaus Helbling, René Pollesch, Nicolas Stemann, Sandra Strunz, Roger Vontobel – sie alle waren zu den »Impulsen« eingeladen, sie alle sind mittlerweile Burgtheater-Intendant. Na ja, beinahe.
Die »Impulse« finden seit jüngerem alle zwei Jahre statt, wer jetzt sagt: nur!, der hat nichts begriffen. Denn die »Impulse« sind ja dafür viel umfangreicher geworden. Elf Produktionen von neun Theatergruppen aus drei Ländern treten dieses Jahr in vier Städten und zwei Festivalzentren an zwölf Tagen zum Wettbewerb um den einen Preis der besten freien Theaterproduktion an – eine Jury wird am Ende unnachgiebig das Urteil fällen. Fünf sogenannte Special Guests schauen dabei zu, aber zeigen selbst auch was.
Und nun zu der Frage: Was werden wir geboten kriegen? »Den Menschen in seinem ganz banalen, oder auch in sehr brutalem Handeln«, wie die Festival-Leitung uns verspricht? »Bekannte Tätigkeiten und Bewegungen«, »die Abhängigkeit unseres Tuns von gesellschaftlichen Prozessen und Konventionen«? Hammerschwe-re Worte, die in folgenden Programmpunkten Flügel bekommen sollen:
So kriechen andcompany&Co. ins »Mausoleum Buffo«, bieten Andrei Andrianov & Oleg Soulimenko Waren »Made in Russia« an. Präsentiert Boris Nikitin ganz allein »F wie Fälschung« (nach Orson Welles) und »Woyzeck«. So tanzt Doris Uhlich «SPITZE« und FAR A DAY CAGE spielen den Film »Der Pate I – III«. Später übt sich das Duo Gintersdorfer/Klaßen in »Betrügen« und fragt: »Othello c’est qui«. Während die Gruppe Gob Squad alles gut machen will (»Saving the world«). Sehr ernst meint es Hans-Werner Kroesinger mit »Ruanda Revisited«, die Leute von Schauplatz International aber wollen nur spielen und machen irgendwie Sex mit »M*A*S*C*O*T*S*«. Zwei der sehr speziellen Gäste heißen übrigens Beatrice Fleischlin, die sich auszieht (wirklich?), und Das Helmi, die über Sex reden wollen (ab 12 Jahren).
Die diesjährigen »Impulse« werden die besten »Impulse« überhaupt. Behaupten jedenfalls die beiden künstlerischen Leiter Tom Stromberg und Matthias von Hartz. Oder würden es behaupten, hätten wir sie danach gefragt. Gefragt aber haben wir Tom Stromberg ganz andere Sachen, per Mail-Interview von iPhone zu iPhone, weil Stromberg derzeit beim Lachsfischen in Kanada weilt, wo er sein Gehalt als künstlerischer Leiter durchbringt (s. Foto). Los geht’s: //
K.WEST: Herr Stromberg, vordergründig sind zu dem diesjährigen »Impulse«-Festival wie immer Gruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeladen. Aber in Wahrheit ist die halbe Welt zu Gast. Ist das richtig beobachtet?
STROMBERG: Frank von der Elfenbeinküste – Büchner aus Hessen – Käpt’n Pimmel aus Berlin – der Pate aus Amerika – Lenin aus Russland – Gob Squad aus der Zukunft – die wildeste Mischung seit es »Impulse« gibt – immerhin ist diesmal das 15. Mal.
K.WEST: Ein unausgesprochener Schwerpunkt des Festivals scheint Afrika zu sein. Es treten sogar dunkelhäutige Menschen auf. Warum?
STROMBERG: Die Darsteller in den Stücken von Monika Gintersdorfer sehen einfach so gut aus.
K.WEST: Theater ist Krise. Mit welchen existenziellen Nöten werden wir konfrontiert?
STROMBERG: Armut/Reichtum – Pubertät/Sexualität – Perücken/Coolness – schwarz/weiß – Le-ben/Tod – Applaus/Buhs.
K.WEST: Auf der Bühne wird vorrangig Englisch gesprochen. Fallen die »Impulse« damit für Russlanddeutsche und Menschen wie Guido Westerwelle von vornherein aus?
STROMBERG: Unsinn! Es wird insgesamt in den 49 Vorstellungen – von 4.280 Minuten – 100 Minuten Englisch, 250 Minuten Französisch – 20 Minuten Russisch – der Rest lupenreines Deutsch gesprochen.
K.WEST: Zwei Gruppen sind mit je zwei Produktionen eingeladen. Ist das ein organisatorisches Missgeschick oder gab es keine weiteren guten Gruppen?
STROMBERG: Pure Absicht, um die Karrieren von Gintersdorfer und Nikitin noch mehr zu pushen.
K.WEST: Kann ich zum Festival »Impulse« gehen, ohne zu wissen, was postdramatisches Theater ist?
STROMBERG: Post … was???
K.WEST: Die Durchsicht des Programms zeigt, dass es bei den »Impulsen« ziemlich oft um Sex geht. Was bekommen wir gezeigt, was wir nicht schon kennen?
STROMBERG: Hauptsächlich, wie man sich am besten auszieht.
K.WEST: Bei einigen Produktionen zeigen die Schauspieler ihre Gesichter nicht, sondern verstecken sie hinter Masken und Schwellköpfen. Warum wollen die Schauspieler anonym bleiben?
STROMBERG: Falsch geguckt – die sehen wirklich so aus.
K.WEST: Erneut bietet das Festival sogenannte Marathons an. Verstößt das Zeigen von bis zu fünf Theatervorführungen am Stück nicht gegen die Menschenwürde?
STROMBERG: Es gibt in den Pausen Bananen und Energieriegel – das muss genügen.
K.WEST: Sind Strafen vorgesehen für K.WEST-Leser, die nicht zu den »Impulsen« gehen?
STROMBERG: Höchststrafe ist, K.WEST zu abonnieren.
K.WEST: Herr Stromberg, Petri Heil!
Die »Impulse« finden vom 25. Nov. bis 6. Dez. in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim statt. www.festivalimpulse.de