Kurz vor dem Geburtstag hat sie sich eine neue Geschäftsführerin geschenkt: Petra Müller. Seit Herbst 2010 leitet die 52-Jährige die finanzstärkste Film-Förderanstalt des Landes, gelegen an der Düsseldorfer Kaistraße. Neben vielem anderen wurden Filme von Lars von Trier und Ken Loach, Tom Tykwer, Sönke Wortmann und Til Schweiger auf den Weg gebracht. Es gab Riesenflops (»Henri 4«), braves Mittelmaß (Breloers »Buddenbrooks«), unerwartete Erfolge wie »Good bye, Lenin!« und »Die fabelhafte Welt der Amélie« sowie eine Menge künstlerischer Glücksfälle, die in Berlin, Cannes und Venedig Preise mitnahmen wie Fatih Akin (»Auf der anderen Seite«), Semih Kaplanoglu (»Honig«), Samuel Maoz (»Lebanon«) oder Shirin Neshat (»Women without Men«). Ohne Filmstiftung geht in Nordrhein-Westfalen in Sachen Film kaum mehr was: Und wenn sich Planspiele der Medien- und Kulturpolitik durchsetzen, bald gar nichts mehr.
Ein Rückblick und ein Ausblick: Petra Müller im Gespräch mit Andreas Wilink.
K.WEST: In einem Nachtrag zu den Nachrufen auf Bernd Eichinger zitierte Frank Schirrmacher Nietzsche: »Von der Stärke verlangen, dass sie sich nicht als Stärke äußere, dass sie nicht ein Durst nach Feinden und Widerständen und Triumphen sei, ist widersinnig.« Ist dieser Durst ein Grundtrieb der Branche?
Müller: Kann ich nicht sagen. Bernd Eichinger war eine Ausnahmeerscheinung. Mit Ecken, Kanten, eigener Gesetzlichkeit. Ich verstehe, was Schirrmacher sagen wollte: dass man nicht das eine bekommen kann, ohne das andere zu nehmen. Weite Teile der Branche und insbesondere die Kritik haben Eichinger über Jahrzehnte die Anerkennung verwehrt. In der großen Trauer habe ich auch ein Stück Abbitte hierfür gespürt. Es ist offenbar so, dass Mittelmäßigkeit, dass die Wattebauschwerfer Sympathie und Zuwendung genießen, während Selbstbewusstsein, Radikalität und vor allem Erfolg eher Skepsis auslösen. Ich empfinde nicht so.
K.WEST: Sie kommen mit solchen Repräsentationsfiguren also gut klar, bei denen Kino auch eine Maschine des Egos, ein Vehikel heroischen Einzelkampfes ist?
Müller: Steile Frage, und fast eine private. Eigensinn, Vision und Risikobereitschaft gehören dazu. Davor habe ich großen Respekt. Das Kino kann ein paar mehr kreative Produzenten gebrauchen, diese besonders Begabten, die Produzent, Autor und Regisseur in einer Person sein können.
K.WEST: Das Kino, für das Eichinger stand, ist nun beileibe nicht alles. Fördern was es schwer hat, lautete in NRW mal ein Motto. Wobei der Gegensatz Kunst – Kommerz zu einfach wäre.
Müller: Der bringt hier auch nicht weiter. Für die Filmstiftung, für Filmkultur wie Filmwirtschaft, muss das Ergebnis in der Gesamtbetrachtung stimmen. Man wird immer Kleines und Schwieriges, Experimente und Querdenker fördern, aber immer auch Produktionen unterstützen, die in der Lage sind, mehr als eine Million Zuschauer zu holen. Kino ist Entertainment, da ist ein Film auch mal künstlerisch nicht die Speerspitze. Am Ende gehört auch dazu, das Kino als Rezeptionsort zu erhalten – dafür müssen die Besucherzahlen stimmen.
K.WEST: Die Politik diskutiert gerade kontrovers über die Frauenquote in der Führung von Unternehmen …
Müller: In Politik und Medien ist es etwas besser als in anderen Branchen. NRW hat eine Ministerpräsidentin, eine RTL-Chefin, eine WDR-Intendantin …
K.WEST: Dennoch, hat es eine Frau in diesem Milieu schwerer? Mussten Sie männliche Mechanismen anwenden?
Müller: Ich setze auf Kooperation und verfolge Ziele langfristig. Das ist wahrscheinlich eher weiblich.Damit bin ich bislang nicht schlecht gefahren. Es gibt nach wie vor gut funktionierendes männerbündisches Verhalten mit den entsprechenden Ritualen. Da vertrauen die Jungs nur den Jungs. Ich bin eine Frau und möchte es auch weiterhin bleiben.
K.WEST: Nach dem Tausendsassa Dieter Kosslick mit seinen Entertainer-Qualitäten und dem journalistisch geprägten Michael Schmid-Ospach, wie würden Sie sich charakterisieren?
Müller: Ich bin unternehmerisch geprägt, mit allen Freiheiten und Risiken, die das bedeutet. Nach kulturwissenschaftlichem Studium hatte ich irgendwann die Metaebene satt, wollte dahin, wo man gestalten kann. Und das kann man in und mit der Förderung: Wenn dann ein guter Film, ein erfolgreiches Startup, eine gute Veranstaltung dabei herauskommt, kann das sehr befriedigend sein. Es soll wirken in der Welt. Wenn etwas fliegt, ist es toll.
K.WEST: Was hat gewirkt und wie? Nach 20 Jahren, was ist das wesentlich Erreichte?
Müller: Die Filmstiftung hat den Film nach Nordrhein-Westfalen geholt, hat mit dafür gesorgt, dass eine Produktionswirtschaft entstehen konnte, obwohl es hier im Gegensatz zu München und Berlin keine filmischen Wurzeln gab. Darüber hinaus hat sie einen großen Beitrag geleistet für den deutschen Film. Der erste bewilligte Förderantrag war Dietls »Schtonk!«, übrigens nicht gerade ein NRW-Klassiker – sehr erfolgreich, »Oscar«-Nominierung inklusive. Durch die Filmstiftung entstanden wunderbare Kino- und Fernsehfilme, 1.500 insgesamt, gefördert mit 500 Millionen Euro. Und ökonomisch geht die Rechnung auch auf. Denn jeder Förder-Euro wurde zwei- bis dreifach im Land wieder ausgegeben – ein Effekt von rund 1,2 Milliarden Euro. In Medien und Film kamen 370.000 Arbeitsplätze zustande. Der Strukturwandel ist trotz mancher Rückschläge eine enorme Leistung. Da ist viel passiert.
K.WEST: »Vill passiert«, um es mit BAP zu sagen. Und was muss nun passieren? Oder reicht der Status quo?
Müller: Der Status quo ist sehr gut. Aber man kann sich nicht darauf ausruhen. Hier ließe sich mit Lampedusas berühmtem Satz aus dem »Leopard« antworten.
K.WEST: »Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist.«
Müller: Genau. Soll heißen: Das identische Ziel, nämlich eine erfolgreiche Film-, Medien- und Standortpolitik zu realisieren, erfordert heute andere Instrumente und Herangehensweisen als vor 20, vor zehn, vor fünf Jahren.
K.WEST: Was also ändert sich, was bleibt gleich?
Müller: Ein Film bleibt ein Film, auch im digitalen Zeitalter. Was sich ändert, sind die Bedingungen seiner Entstehung, Distribution und Rezeption. Das bedeutet für den Film: Digitale Produktion und Postproduktion, visuelle Effekte und 3D erschließen neue Bilderwelten. Das Kino konkurriert immer stärker mit riesigen Flachbildschirmen, Download-, Video-on-demand-Angeboten. Für Fernsehen und Zeitungen gehen die Umwälzungen noch tiefer: Internet und Mobiltelefon haben eine neue Kommunikationskultur ermöglicht, Interaktivität ist selbstverständlich. Das prägt unseren Alltag. Für uns bedeutet das: Wir fördern Filme, das bleibt unser Kerngeschäft – und wir öffnen uns für neue Medien. Dabei macht man spannende Entdeckungen, etwa dass die Games-Entwicklerszene in Düsseldorf womöglich genauso viel verspricht, wie vor 20 Jahren Film und Fernsehen. Wir wollen dahin schauen, wo vorne ist, ohne den Film zu verraten.
K.WEST: Es entstand eine gewisse Unruhe, als Sie öffentlich überlegten, Film-Premieren von Produktionen mit NRW-Mitteln aus strategischen Gründen künftig in Berlin stattfinden zu lassen. Wie national und international müssen Sie operieren?
Müller: Auch hier zieht ein alter Spruch: Think global, act local. Das Film- und Mediengeschäft ist international. Aber jedes regionale Förderhaus in Bayern, Berlin und NRW hat besondere Verpflichtung vor Ort bei sich. Dabei gibt es Filme von einer Größe und Bedeutung, dass sich daran mehrere Förderer beteiligen. Üblicherweise besteht dann jeder Förderer je nach finanziellem Einsatz auf einer Premiere in seinem Bundesland. Aus meiner Sicht kann es aber gelegentlich sinnvoll sein, einen Film gemeinsam zu präsentieren, um ihm konzentrierte Aufmerksamkeit zur verschaffen. Da ist die Hauptstadt der richtige Ort. Deshalb schaffen wir aber Premieren in Köln, Düsseldorf, Essen oder Wuppertal nicht ab. Ein tolles Missverständnis und gar nicht mein Thema. Was ich eigentlich sagen wollte, war: Die föderale Standort-Perspektive bekam mit der Hauptstadtfunktion Berlins eine andere Ordnung. Als führendes Medienland muss NRW in Berlin, auch übrigens in Brüssel präsent sein.
K.WEST: Wie wichtig sind Image- und Status-Fragen? Nehmen wir »Drei«: Wo liegt der Nutzwert für die Filmstiftung bei dieser Förderung? Tykwer kommt aus Wuppertal, X Filme haben ein Zweitbüro in Köln, die Geschichte spielt und entstand in Berlin …
Müller: Nichts dagegen. Denn es werden ja immer auch Teile des Films in NRW realisiert. Wenn ein Stoff von einer hier ansässigen Firma entwickelt und umgesetzt wird und hiesiges Kolorit zeigt – wunderbar. Wenn das aber nicht so ist, das Projekt inhaltlich überzeugt und Chancen im Kino hat, wäre ein Nein kontraproduktiv. Die Filmstiftung und ihre Jury entscheidet im Sinne des Einzelprojektes inhaltlich. Und im Fall von X-Filme und Tykwer gibt es tatsächlich eine sehr enge Verbindung. Abgesehen davon, das ist nationale Filmkultur.
K.WEST: NRW hat ein doppelt ausgerichtetes Fördersystem. Auch das für Kultur zuständige Ministerium verfügt über einen Etat für filmkulturelle Aktivitäten. Der ist niedrig im Vergleich zur Filmstiftung.
Müller: Ich weiß von gut 1,5 Millionen.
K.WEST: Das sind keine fünf Prozent Ihres Budgets. Macht da eine Trennung der Aufgaben überhaupt Sinn?
Müller: Hier gibt es in der Tat Überschneidungen, bezogen auf die Projektförderung. Ich fände es gut, die Förderentscheidungen zunächst nebeneinander zu legen, sie miteinander zu analysieren und zu prüfen, ob man in Zukunft gemeinsame Schwerpunkte setzt. Auch im Sinne der Fördernehmer, damit die nicht hin und her geschickt werden.
K.WEST: Ist es nicht eine seltsame Zwitterexistenz, behördlicher Apparat zu sein, kalkulierendes Unternehmen und auch noch Kreativ-Fabrik?
Müller: Die Filmstiftung wird oftmals als Institution oder Behörde gesehen. Sie ist aber formal ein Unternehmen, eine GmbH, mit einer bestimmten Zielsetzung und Aufgabenstellung seitens ihrer Gesellschafter. Zielorientierung, Ökonomie und Kreativität sind keine Widersprüche. Wir verstehen uns als Möglichmacher. Prüfen Projekte, beraten, stellen Geld bereit, schaffen Vernetzung, sorgen für Wahrnehmung. Am Ende ist der Möglichmacher aber nicht derjenige, der die Filme herstellt. Man muss die Rollen auseinander halten. Das mag der eine oder andere verwechseln. Zu denen gehöre ich nicht.
Filmstiftung NRW: 1991 vom Land NRW und dem WDR gegründet, traten der Förderanstalt später ZDF, RTL und die Landesanstalt für Medien bei. Mit rund 35 Millionen Euro jährlich werden Film- und Fernsehproduktionen gefördert; es gibt Nachwuchs-, Drehbuch- und Vertriebsförderung, unterstützt werden Kinos und Festivals und manches mehr.Petra Müller: Die Unternehmens- und Medienberaterin hat am Grimme-Institut in Marl gearbeitet und die Cologne Conference geleitet; 2004 wechselte sie verantwortlich zum Medienboard Berlin/Brandenburg.