TEXT: MARTIN KUHNA
Klöster und Kasernen gibt es viele im Weserbergland; das ist der Hintergrund für die Präsenz der Kopten dort. Im Zentrum steht das Kloster Brenkhausen, wo seit dem 13. Jahrhundert Zisterzienserinnen, seit 1601 Benediktinerinnen lebten. Nach der Säkularisation blieben die Gebäude bis 1970 in weltlicher Hand, dann übernahm die Kirchengemeinde den kleineren gotischen Teil; für die Barockflügel gab es keine Verwendung mehr. Auch das Land NRW wusste als neuer Besitzer nichts damit anzufangen. So verfiel die Anlage.
Die neue Ära beginnt Ende 1990. Da stößt ein koptischer Christ aus Essen auf das Kloster. Wochen später bekommt der Detmolder Regierungspräsident Post aus dem hessischen Waldsolms-Kröffelbach, wo koptische Christen schon seit 1980 ein geistliches Zentrum betreiben. Abt El Baramousy bekundet dem »RP« das Interesse der Kopten, das Kloster Brenkhausen zu kaufen und dort einen weiteren geistlichen Mittelpunkt einzurichten.
Bei den folgenden Verhandlungen tritt bereits Dr. Refaat Fahmi auf. Der 1955 in Kairo Geborene arbeitet seit 1981 als Arzt in Württemberg. Er beschließt aber in diesem Jahr 1991, Geistlicher zu werden, und träumt vom Leben in einem abgeschiedenen ägyptischen Kloster. Tatsächlich erhält er die Mönchs- und Priesterweihe, doch wird er 1993 zum Seelsorger in Deutschland bestimmt und 1995 als Anba Damian zum Generalbischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschland geweiht. Dienstsitz ist das Kloster Brenkhausen, dessen Kauf für eine symbolische Mark Ende 1993 besiegelt worden ist.
Bischof Damian ist die treibende Kraft hinter dem mühseligen Wiederaufbau des barocken Klosters. 1997 erweitert er das Projekt um ein »koptisches Dorf«, ein Wohn- und Begegnungszentrum auf dem Gelände und in den Gebäuden einer der vielen verlassenen Kasernen im Weserbergland, unter der Schirmherrschaft des koptischen Papstes Shenoudah III. Freilich ist das Dorf bislang mangels passender Investoren noch weitestgehend Vision.
Selbst das Kloster ist ja nach 17 Jahren noch ein Torso. Die Restaurierung schreitet nur langsam voran – mit Hilfe ägyptischer Gast-Arbeiter, anders wäre sie aus Spenden nicht zu finanzieren. Wenn man erfährt, dass die spartanisch mit Altmöbeln eingerichteten Mönchs-Räume derzeit gar nicht bewohnt werden, dass außer dem Bischof niemand ständig lebt in Brenkhausen, fragt man sich nach dem Sinn – schließlich gibt es selbst bei optimistischer Schätzung nicht mehr als 8000 koptisch-orthodoxe Christen in Deutschland.
Gedacht sind Kloster und Kaserne allerdings als Zentrum für Kopten und ökumenische Begegnungen im europäischen Rahmen. Und dass ein Kloster dieses Zentrum bilden soll, liegt in der Religion begründet: Die mönchische Tradition des Christentums geht auf den heiligen Antonius zurück, einen ägyptischen Einsiedler. Noch heute spielt das klösterliche Ideal eine große Rolle bei den koptischen Christen, weit mehr als bei den Katholiken. So ist es nicht abwegig, dass der Bischof seinen Sitz weitab weltlicher Geschäftigkeit nimmt.
Die koptisch-orthodoxe Kirche sieht den Apostel Markus als ihren Gründer. In jedem Fall geht ihre Geschichte zu den Anfängen des Christentums zurück. Noch ehe die römische Reichskirche sich in byzantinisch-orthodox und weströmisch-katholisch auseinander ent-wickelte, gingen die Christen in Ägypten einen eigenen Weg: Beim Konzil von Chalkedon (451) lehnten sie das Dogma von Christi Doppelnatur – Mensch und Gott – ab und beharrten darauf, dass er Gott und sonst nichts, seine menschliche Natur von der göttlichen gleichsam »aufgesogen« sei. Von der römischen Staatskirche getrennt und vom Islam der siegreichen Araber zur Minderheitenreligion reduziert, entwickelte die koptische Kirche ihre eigene Liturgie – fern alles dessen, was man hierzulande gewohnt ist.
Jeden Werktag um sieben Uhr früh ist Gottesdienst im Kloster Brenkhausen; am Sonntag um acht und um zehn. Den Kirchenraum hat man im Kreuzgang des alten Klosters eingerichtet – mit schlichten Bänken, mit Ikonenmalereien an den Wänden und mit der dreigeteilten, verzierten Wand – Ikonostase – vor dem Altarraum. Es ist Sonntag, kurz vor zehn. Die Luft ist schwer von Weihrauch; der Priester in seinem dunklen Mönchshabit und seine Messdiener in formloser Alltagskleidung beenden gerade den Frühgottesdienst.
Ohne Pause geht es an die Vorbereitungen für den festlicheren Sonntagsgottesdienst. Der Raum ist nun fast voll; am Sonntagvormittag können auch Gläubige aus der weiteren Umgebung anreisen. Der Priester legt ein weißes Gewand über, seine Helfer tun ihm gleich: Fünf Männer und vier kleine Knaben werden dem Geistlichen assistieren. Da Bischof Anba Damian überraschend nach Berlin gereist ist, kam von dort Mönchserzpriester Gerges El Moharaky als Ersatz. Dem Gottesdienst beiwohnen? Kein Problem, sagt er.
Als aber der Gast sich dezent in die hintere Bankreihe drückt, bittet der Priester ihn nach vorn. Das ist bei den Kopten übliche Gastfreundschaft. Dann kommt einer der Diakone heran, ein ebenso freundlich wie seriös wirkender Herr: Ob der Gast gleich an den Lesungen teilnehmen werde? Verblüffte Abwehr. Wirklich nicht? Noch ein verlegenes Nein. Es war, wird sich später herausstellen, kein Missverständnis: Sie hätten einen Fremden vor der Gemeinde aktiv am Gottesdienst teilnehmen lassen. Auch das nicht unüblich.
Es entfaltet sich nun eine komplexe Abfolge von Gebeten, Litaneien und Gesängen. Jener Diakon, der den Gast zur Lesung hat bitten wollen, hält meist ein Paar kleiner Zimbeln in den Händen, sein Nebensitzer ein Triangel. Bei vielen Gesängen geben die beiden damit einen springenden, tanzbaren Rhythmus vor. Zuweilen schwenkt der Priester dazu das kleine, an den Ketten mit klingelnden Glöckchen versehene Weihrauchfässchen in so ausholenden Bewegungen vor dem Altar, dass tatsächlich der Eindruck eines Tanzes entsteht. In keinem Moment wird deutlicher, wie nah am morgenländischen Ursprung die koptische Liturgie sich befindet.
Vor dem Gast liegt ein Buch mit den Texten der Basilius-Liturgie, in drei Spalten synoptisch nebeneinandergestellt: deutsch, koptisch und arabisch. Tatsächlich spricht der Priester gelegentlich in der deutschen Landessprache; so halten es die Kopten in jedem Land – zumal wenn Gäste dabei sind. Wo Arabisch und liturgisches Koptisch wechseln, ist nicht leicht herauszuhören; Arabisch scheint in Ägypten weniger kehlig zu klingen als anderswo. Immer wieder zu vernehmen: ›Amin‹. ›Kyrie Eleison‹. ›Ibrahim‹. ›Messias‹. ›Maria‹ und ›Josif‹. Sowie ›Allah‹. Ob sich Islamisten und Islamophobe davon berühren ließen, wie Christen ihren Gott in einem orientalischen Ritus Allah rufen?
Etwa zur Mitte des Gottesdienstes spricht der stets ernst wirkende Priester plötzlich lauter, gestenreich und meist mit einem jungenhaften Lächeln auf dem bärtigen Gesicht. Es scheint, als verteidige er rhetorisch eine frohe Botschaft gegen Zweifel. Er habe, wird er später sagen, über Herodes und den Kindermord gepredigt und über Stefan, den Märtyrer, der Gott bat, seinen Peinigern zu verzeihen. Über die Frage: Was ist Liebe? Lesungen aus dem Evangelium folgt das Abendmahl, bei dem die Gläubigen ein Stück eigens gebackenes Brot als Leib Christi entgegennehmen und dann ein Löffelchen Wein als dessen Blut. Gewandelt. Keine Symbole. Damit endet der Gottesdienst, nach zwei Stunden.
Bei Kaffee und Kuchen erzählt Shaker Sidarous, der zuvor den Gast zur Lesung hatte bitten wollen, von sich. Der 70-Jährige ist, wie viele andere Ägypter, in den 60er Jahren als Ingenieursstudent nach Deutschland gekommen. Aber er fühlte sich damit nicht lange wohl und wechselte ins Hotelfach. Zuletzt war er Chefportier in einem Münchener Hotel. Als geweihter Diakon hat Sidarous schon die Gottesdienste in München begleitet. Als Rentner dann habe er in die Nähe seines Bischofs ziehen wollen, sagt er. So wohnt er jetzt in einem Ort namens Höxter-Bödexen, am Fuße des Köterbergs, und ist im Kloster aktiv, aber auch in der Gemeinde Bielefeld. Seine Frau, sagt er sanft, habe nichts gegen den Umzug in die tiefste deutsche Provinz gehabt. Sie sei, im Gegenteil, »so verliebt in die Kirche«, dass sie drei Jahre als Sekretärin für den Bischof gearbeitet habe.
Erzpriester El Moharaky, studierter Architekt, hatte sich wie sein Bischof für sein zweites, priesterliches Leben ein Dasein als Mönch gewünscht. Nun wohnt er mitten in Berlin, ist neben der dortigen Gemeinde aber auch für Hannover, Dresden/Leipzig und Warschau zuständig. Ständig unterwegs. Seelsorger rund um die Uhr. Bei Besuchen in Ägypten lebe er im Kloster. Und zuweilen finde er auch Zeit für einen Aufenthalt im Kloster Brenkhausen, bei seinem Bischof. Es scheint fast, als beneide El Moharaky den Diakon Sidarous um sein Leben in Bödexen am Köterberg, weit weg vom hektischen Berlin. Denn: »Ich bin Mönch«, sagt er.