Der erste Satz ist immer der schwerste. Das gilt auch für den namenlosen Schriftsteller und Erzähler dieses Romans, der seit Jahren erfolglos an »etwas Größerem« sitzt. Bis sein Kollege und Förderer »Goethe« anruft, der aber nicht so heißt und das genaue Gegenteil des Erzählers ist: Ein höchst erfolgreicher Schriftsteller, vom Publikum geliebt und sogar in China auf Platz 1 der Bestsellerliste. Genau dort muss er hin und bittet den überraschten Kollegen, ihn doch zu vertreten. Als Leiter seines Schreibkurses »Leichtschreiben« in einem Hotel in der Lausitz; er wird gleich seine Assistentin vorbeischicken, die ihm die Mappe mit der »Goetheformel« überbringt, welche alles enthält, was zum erfolgreichen Schreiben nötig ist – aber Obacht, es gibt nur dieses eine, handgeschriebene Exemplar. Überredet – schon am nächsten Morgen verlässt der Autor den Schreibtisch, um den Kursteilnehmern das beizubringen, was er selbst am wenigsten kann: leicht und erfolgreich zu schreiben.
John von Düffel, in dessen früheren Werken wie »Vom Wasser« oder »Houwelandt« die großen Familiengeschichten im Mittelpunkt stehen, lenkt mit »Goethe ruft an« den Blick auf die eitle Literaturszene. Von Düffel arbeitet nicht nur als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin, sondern ist auch Professor für szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Vielleicht hat er dort auch die Vorbilder für die Schreibkurs-Teilnehmer in seinem Roman gefunden und die Realität dann lustvoll überdreht. Zudem hat er ihnen treffende Spitznamen verpasst: Der egozentrische Literaturkritiker »Schwamm«, »Fräulein Rottenmeier«, die sich auf menschenleere Natur-Lyrik spezialisiert hat oder die Kitschtante und Verfasserin von Bahnhofsbuchhandlungsliteratur, die aussieht wie »Hedwig Courths-Mahler« und auch so genannt wird. Ihnen allen, inklusive dem überforderten Kursleiter, fehlt die Leichtigkeit für anspruchsvolle Werke.
»Goethe ruft an« ist ein langes Gespräch über Literatur und das Scheitern, gerne abschweifend, aber in den meisten Fällen pointensicher und angenehm garstig. Eine Erkenntnis bleibt: Erste wie letzte Sätze sind vor allem eins – total überschätzt.
John von Düffel, »Goethe ruft an«; DuMont, Köln 2011, 320 Seiten, 19,99 Euro.
Lesungen am 13.9.11 in der Goethe-Buchhandlung Düsseldorf, am 14.9.11 im Literaturhaus Köln sowie am 20.9.11 im Museum Morsbroich in Leverkusen.