TEXT: REGINE MÜLLER
In Oberhausen wurde das Musiktheater in den frühen 90ern aufgelöst. Seitdem wird dort Sprechtheater gemacht. Doch nachdem Peter Carp vor drei Jahren die Intendanz übernommen hat, hält das Musiktheater hinten herum wieder Einzug: zunächst mit Tom Waits’ Rockoper »Woyzeck«, dann mit einer »Oberhausener Johannespassion« nach Bachs Oratorium und nun mit Bizets »Carmen«. Joan Anton Rechi inszeniert eine von Otto Beatus eigens eingerichtete, markant verschlankte Adaption für Schauspieler und Band. Kein Bilderbuch-Spanien blättert sich auf (Bühne Alfons Flores): Die Wände sind bemalt mit düster drastischen Graffiti, ein Tresen ist aus schrundigen Ölfässern gezimmert, oberhalb der Regale befindet sich ein Gefängnis-Käfig. Eine schmuddelige Bar für Underdogs und Gestrandete. Entsprechend dieser Atmosphäre: rau, undergroundig und elektronisch verschmutzt sind die Klänge, die die sechs Musiker anstimmen.
Beatus geht sehr frei mit der Vorlage um; er versucht gar nicht erst, die Oper auszukomponieren, sondern benutzt die Partitur als Steinbruch. Die bekannten Arien kommen sämtlich vor, gestrichen aber sind Chöre, folkloristische Tanzeinlagen, Zwischenspiele und Ensembles, denn auch die Besetzung ist auf sechs Darsteller reduziert. Um Habanera, Seguedilla und Torero-Arie für Schauspieler singbar zu machen, wurde in Bizets Material tief eingegriffen. Erstaunlich jedoch, wie mühelos sich Bizets glühende Motive auch in der Verfremdung behaupten. Während Escamillo rockt, klingen Carmens Arien wie französische Chansons, manch eine Gesangseinlage erinnert an die Balladen von Kurt Weill, gelegentlich sahnt die naive Schnulze.
Diese theatrale »Carmen« lenkt den Blick auf die Härte und Lakonie der Außenseiter-Geschichte, die Prosper Mérimées ursprüngliche Novelle schonungsloser erzählt, als das auch an unterhaltsamen Aspekten und Kostümierungsfragen interessierte Libretto. Das Drama der selbstbewussten, nur sich selbst verpflichteten, selbstzerstörerischen Frau (Nora Buzalka) könnte durchaus als angeschrägte, schnelle, aktuelle Annäherung an die Urfassung verstanden werden, würde die Regie nur nicht das Ganze inbrünstig mit Gewalt-Effekten aufladen und auf volle drei Stunden Spieldauer entschleunigen. Kein Rausch – eine Ernüchterung im doppelten Sinn.