Einen Müllcontainer voll von Magnettonbändern, sogenannten »Vorstellungsbändern«, hatte André Kaczmarczyk auf seinem Weg zur Probe am Düsseldorfer Schauspielhaus gefunden. Nahe des Bühneneingangs. Das war vor einem Jahr. Das Archivmaterial sollte entsorgt werden, weil es aus Platzgründen nicht länger zu bewahren war, im übrigen brandgefährlich ist und es für den Betrieb zu zeitintensiv gewesen wäre, es zu sichten und umzukopieren.
Einen Teil hat sich der Schauspieler geschnappt und die Vernichtung verhindert. Statt der Löschtaste wird in dem neuen Podcast »Lost and Sound« nun die Aufnahme- und Play-Taste gedrückt. Jede Woche aufs Neue. In der ersten Folge unterhalten sich Kaczmarczyk und die Dramaturgin Janine Ortiz über den Archivbestand und wie es zu der wundersamen Errettung kam. Vieles davon, damals im analogen Verfahren produziert und manuell zu bedienen, enthält klassische Theatersounds und atmosphärische Geräusche.
Da gewittert es also, Winde jachtern, Kirchenglocken läuten und ein Totenglöcklein bimmelt, eine Zugansage wird durchgegeben, es zwitschert und wispert, lacht und muht.
Zu den Fund-, Kunst- und Kabinettstückchen, fast möchte man sagen, zu den Schellackschätzchen, gehören indes auch wahre Trouvaillen: Mitschnitte von Aufführungen, Proben, kompletten Szenen und Akten, Matineen, Reden. Wir belauschen eine nahezu soubrettenhaft tirilierte »Amphitryon«-Szene aus den Fünfzigern zwischen Alkmene und ihrer Amme und Dienerin Charis, letztere gespielt von Maria Alex, die noch hochbetagt als Doyenne dem Haus angehören sollte. Oder werden von Jacques Offenbachs »Pariser Leben«, inszeniert 1978, mit einer delikaten musikalischen Kostümfrage konfrontiert: »Ihre Naht ist hinten aufgeplatzt«.
Was ist Erinnerung – etwas, das einem verloren gegangen ist, oder etwas, das sich einem bewahrt? In dieses schwebende Verhältnis gebracht, hören wir den Stimmen zu: dem Flüchtigen und den Flüchtigen, denn nicht von ungefähr hießen die Theaterleute einst fahrendes Volk. Das Fluide und wie es sich fixiert hat auf eine Weise, die ja doch gleichermaßen lebendig und tot ist, habe ihn »berührt«, sagt André Kaczmarczyk. Auch dabei gilt: Verwandlung ist das Stichwort. Von einer Substanz in eine andere Materialität.
Doch die Stimmen aus dem Jenseits, sie können auch ganz diesseitig, greifbar und hochpräsent sein – womit ein Hinweis zur zweiten Folge und dem »Fall Marinelli« über Lessings Trauerspiel »Emilia Galotti«, Regisseur Werner Schroeter und Herbert Fritsch gegeben sein soll.