Nicht mal eine halbe Stunde zu Fuß wäre er entfernt, der Rhein. Doch wer in der Temporary Gallery in Köln steht, hat ihn nicht im Blick. Und auch sonst blenden wir oft aus, was Wasser eigentlich bedeutet – nicht zuletzt in der Fotografie! »Wasser wird in großen Mengen für die Förderung von Metallen, Edelmetallen und Seltenen Erden eingesetzt«, erklärt Nada Rosa Schröer. Und die wiederum seien für die Herstellung von fotografischen Bildträgern und die Produktion von Smartphones und Datenspeichern wichtig. Doch damit belässt es die Kuratorin von »Vibrant Waters« nicht – ihre Ausstellung in der Temporary Gallery bei der Photoszene Köln nimmt die Beziehung von Wasser und Menschen auf unterschiedlichste Weise in den Blick. Wasser sei schließlich mehr als nur ein Rohstoff, sagt Schröer, die nicht nur einen materiellen, sondern auch einen feministischen und dekolonialen Blick auf das Thema lenken will. In vielen indigenen Völkern gelten Wasserkörper beispielsweise als Lebewesen, für dessen Gleichgewicht die Menschen Verantwortung tragen. Elf Künstler*innen bzw. Gruppen hat die Kuratorin zusammengebracht, um ihre Sicht auf Wasser zu beleuchten. Und auch zu hinterfragen, wem es – etwa mit Blick auf Großkonzerne, die es für sich scheinbar ohne Maß nutzen – überhaupt gehört?
Schröer hat unter anderem Lara Tabet eingeladen, die einen Fluß gar selbst abbilden will. Und dafür ein bakterielles »Chemigramm« seines Wassers auf einem großen Farbfilmstreifen gebannt hat. Dazu passt, dass Olga Holzschuh dann auch den Rhein um die Ecke einbezieht und mit Kölner Flusswasser arbeitet – und Emulsionen so ansetzen, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes ein Eigenleben in der Ausstellung entfalten.
Gesellschaftliche Themen sind schon immer fester Bestandteil im Programm der Photoszene Köln. Diesmal jedoch kommen zu den 80 (!) Ausstellungen im gesamten Stadtgebiet verschiedenster Institutionen neue, kuratierte »Co-Labs« dazu, die sich aktuellen Diskursen widmen und zugleich der lokalen und regionalen Szene eine Bühne geben. Nicht nur, weil sie interessante Foto-Standorte der Stadt für sich nutzen, wie die Kunsträume am Ebertplatz für die Ausstellung »The Loneliness One Dare Not Sound«, in der es um den Körper als Sprachrohr von Widerstand geht. Sondern auch, in dem sie Künstler*innen aus der Domstadt und NRW zeigen: »Natürlich ist die Photoszene angetreten, um den Fotostandort Köln zu zeigen und zu reflektieren«, sagt die Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Photoszene, Heide Häusler. Grundsätzlich sei es aber auch wichtig, die Fotografie landesweit zu denken. Davon zeugt auch die Jury eines Open Calls, in der etwa Thomas Seelig als Leiter der Fotografischen Sammlung des Museum Folkwang in Essen, die Fotoexpertin Adelheid Komenda vom LVR-LandesMuseum Bonn oder Linda Conze, Kuratorin für Fotografie am Kunstpalast Düsseldorf, saßen. Das Ergebnis ist die Ausstellung »Photography in Progress«, die in der Michael Hornbach Stiftung zeigen will, wie sich technische Innovationen auf die künstlerische Fotografie auswirken – und welche Mittel Künstler*innen für sich nutzen. 572 Einreichungen waren eingegangen, 18 Positionen wurden ausgewählt, die nicht älter als drei Jahre sein durften – neun nationale und internationale, neun aus NRW. Mit dabei sind etwa eine multimediale Skulptur der Düsseldorferin Alex Grein, der Essener Folkwang-Absolvent Martin Ruckert oder die surrealen Szenarien von Thomas Albdorf. Mit seiner Serie »Body Double« hatte er ein Porträt von Los Angeles entwickelt – allerdings nicht der realen Stadt in Kalifornien. Sondern Ansichten, die der Österreicher teils selbst fotografiert, teils aus Google Street View oder Filmen zusammensetzt.
»Bildarchiv der Täter«
Insgesamt sieben Ausstellungen an zehn Orten stehen im Zentrum des Festivals. Zudem geht für Jugendliche »NEXT!« im Alten Pfandhaus über die Bühne. Erstmals wird am Eröffnungswochenende (13./14. Mai) ein Fotobuchmarkt im Rautenstrauch-Joest-Museum, aber auch im Rheinischen Bildarchiv ein Symposium organisiert, das Wissenschaft und Kunst zusammenbringt. Das Erbe der Fotostadt Köln ist mit dem Programm »Artist meets Archive« verbunden: Die Photoszene hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Foto-Sammlungen der Kölner Museen aufzubereiten. Dafür lädt sie Künstler*innen wie Pablo Lerma ein, der die Bestände des NS-Dokumentationszentrums gesichtet – und, wie es Heide Häusler beschreibt –, »auch ein Bildarchiv der Täter« vorgefunden hat. Schnell stellte der spanische Künstler, der in Amsterdam lebt, fest, dass hier nicht zuletzt die Sichtweisen der Nazis konserviert wurden. Er will das Öffnen eben jener Archivalien nun unter anderem zum Gegenstand einer Performance machen, während im Museum für Ostasiatische Kunst Naoya Hatakeyama auf historische »Yokohama Souvenirs« blickt. Zudem geht Lilly Lulay im Rheinischen Bildarchiv der Frage nach, wie Künstliche Intelligenz Bilder betrachtet und was im Vergleich dazu ihren eigenen Blick lenkt. Grundlage dafür ist das Archiv des Kölner (Stereo)Fotografen Karl-Heinz Hatlé.
Lebohang Kganye ist eine Reiseroute nach Kamerun abgereist, die vor 110 Jahren die Fotografin Marie Pauline Thorbecke im Auftrag der Deutschen Kolonialgesellschaft unternahm. Das Ergebnis ist vom 12. Mai bis 5. Oktober im Rautenstrauch-Joest-Museum zu sehen – und 20 Meter lang. Ihre Erinnerungen, Eindrücke und Erzählungen hat die südafrikanische Künstlerin in einer Videoarbeit aus 22 Einzelbildern und in einer großen Rauminstallation verarbeitet, in der sie selbst mit Hilfe von Projektionen von einem Bildschirm zum nächsten läuft – und dabei wohl nicht nur die Perspektiven wechseln wird, sondern auch die Zeiten.
12. bis 21. Mai 2023