Im Paradies ist es ungemütlich. Nichts als vom Rost stählerner Dachträger geschundene Mauern und kalter Betonboden. Ein nackter Raum, nackt wie Adam und Eva. Eva nimmt Adam energisch bei der Hand und zieht ihn durch den Ausgang. Wenn Adam zurückkehrt, trägt er eine Sonnenbrille, die Welt erscheint ihm dunkler. Eva hat sich einen Apfel geholt, beißt kraftvoll hinein und sieht schwarz: Sie rennt gegen die Wand und bleibt liegen. In Claudia Lichtblaus jüngster Choreografie »Palimpseste« – Bezeichnung für eine Handschrift, die nach Auskratzen der ursprünglichen Beschriftung neu beschrieben wurde – sind die vier Figuren keine unbeschriebenen Blätter. Wie das Salzlager der ehemaligen Kokerei der Zeche Zollverein in Essen tragen sie die Spuren ihrer Vergangenheit. In ihrer 13. Arbeit auf dem brachliegenden Industriegelände des Weltkulturerbes möchte Claudia Lichtblau »Rudimente mythologischer Figurenkonzepte und Konstanten emotiven menschlichen Verhaltens unter das Primat der Sinnlichkeit« stellen. Dabei entwirft sie in konsequenter Reduktion Bilder der Ein- und Zweisamkeit, unterlegt mit Textfragmenten, die die tanztheatralen Geschlechterkämpfe von einst evozieren. Deren Sprödigkeit lässt, trotz viel nackter Haut, von Sinnlichkeit nur träumen. Nancy Woo gibt eine bis zur Entrückung verinnerlichte blonde Eva, die, ein bisschen Penelope, auf ihren treulosen Adam wartet und seine Launen erduldet. Marine Fourniol, ganz in schwarz und eher eine zeitgenössische Penthesilea, übt sich im einsamen Zweikampf und sucht wie Eva Erlösung im Suizid. Die Männer, Matthias Hartmann und Remo Rostagno, bedienen das Macho-Klischee, immerhin in einigen originellen, urkomischen Einfällen. Die aufgestaute Seelennot dieses minimalistischen Kammerspiels entlädt sich in Kriegsattacken, die das Quartett zu Partisanen der Beziehung stilisiert. Lange, viel zu lange, währt die Schlacht. Am Ende ist nichts gewonnen. (22., 23., 27., 29. und 30. 10.2005, Kokerei Zollverein) | TROUW
Entblößt
01. Okt. 2005