// Den größten Moschee-Streit in Deutschland hat Köln. Die größte Moschee in Deutschland aber hat Duisburg, und das fast ganz ohne Streit. Das »Wunder von Marxloh«, wie der damalige NRW-Bauminister Michael Vesper das islamische Zentrum wegen seiner vorbildlich demokratischen Entstehungsgeschichte beim Spatenstich titulierte, ist nach dreieinhalb Jahren Bauzeit fertig und wird am 26. Oktober eröffnet: Eine Woche lang. Denn die Duisburger dürfen, anders als die Kölner, so richtig stolz sein, Türken wie Nicht-Türken. Sie haben – kleinere Münze ist nicht erlaubt – eine Vision Wirklichkeit werden lassen. Die Vision von einem würdigen Gotteshaus die einen. Die Vision von einem friedlichen Miteinander die einen und die andern.
Das »Wunder von Marxloh« ist in sämtlichen regionalen und überregionalen Medien beschrieben worden, meist mit seligem Erstaunen. Doch anders als das die Titulierungsvorlage liefernde »Wunder von Bern« (dessen Verfilmung tatsächlich teilweise in einer völlig heruntergekommenen, inzwischen abgerissenen Siedlung gegen- über der Moschee gedreht wurde) ist der Marxloher Erfolg kein Kind von Kampfgeist und Fortune, sondern von kluger Planung, Kompromissbereitschaft und harter Arbeit. Durch die Erfahrung heftiger Auseinandersetzungen um den Antrag auf Muezzin-Rufe in einem anderen Duisburger Stadtteil Mitte der 1990er Jahre klug geworden, beschlossen örtliche Politiker zusammen mit der Marxloher Merkez-Gemeinde, den von dieser gewünschten Neubau einer Moschee mit einem interkulturellen und interreligiösen Begegnungszentrum zu koppeln. Vor allem aber, dieses Begegnungszentrum in einer Vorform sofort einzurichten sowie einen Unterstützerbeirat zu gründen, in dem Vertreter der lokalen Verwaltung, der christlichen Kirchen und anderer örtlicher Institutionen sowie engagierte Bürger gemeinsam agieren sollten.
Offenheit war die Überschrift; symbolisch dargestellt und faktisch realisiert durch einen Container auf dem Bauplatz, in dem das »Begegnungszentrum jetzt« tagtäglich für alle Interessierten zu erreichen war. Allein in den letzten anderthalb Jahren haben 30.000 Neugierige, Misstrauische, Informationshungrige die Baustelle besucht und Antworten auf das erhalten, was sie schon immer vom Islam befürchteten und über eine Moschee wissen wollten. Manches Vorurteil ist so mit süßem türkischen Tee in der rührend mit Rosen bemalten Blechbaracke heruntergespült worden.
Jetzt hat der Container ausgedient. Die Vision ist Raum geworden, die Euphorie des Aufbauens wird den Mühen des Alltags weichen. Die nächsten Jahre müssen beweisen, ob das »Wunder« Wirklichkeit besitzt. Beim ersten Anblick aber zeigt es sich schon einmal als ästhetische Überraschung: Von der Weseler Straße kommend, der belebten aber heruntergekommenen Hauptstraße von Marxloh, leuchtet in der Warburgstraße auf einmal hinter hohen Platanen ein heller Bau hervor, dessen Ausmaße und Bedeutung zunächst nicht erkennbar sind. Sobald man auf den weiträumigen, baumbepflanzten Parkplatz einbiegt, aber springt es fremd ins Auge: das Minarett. Und danach das Gewimmel der Kuppeln, silbrig glänzend, mondsichelbekrönt. In der Tat: eine Moschee! Orient in Marxloh.
Foto © DITIB Duisburg-Marxloh e.V.
Die DITIB-Merkez-Moschee. DITIB ist die »Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion«, ein 1984 gegründeter Verein nach deutschem Recht (mit Sitz in Köln), aber unter Auf- sicht des türkischen staatlichen »Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten« (Diyanet). Der DITIB gehören derzeit knapp 800 islamische Gemeinden (»Moschee-Vereine«) an, darunter die Merkez-Gemeinde in Duisburg-Marxloh; Merkez heißt Zentrum.
Der Grundriss der Merkez-Moschee ist leicht als Rechteck zu erkennen (40 mal 28 Meter), doch die Anordnung der Kuppeln über dem quaderförmigen, zu den Schmalseiten hin abgestuften Baukörper bleibt zunächst verwirrend. Nach und nach wird deutlich: Eine mittig liegende Hauptkuppel über durchfenstertem Tambour wird von vier Halbkuppeln umringt; sie ruht auf vier Säulen (Durchmesser ein Meter), die so einen zentralen Raumkubus markieren; die Halbkuppeln werden von noch einmal vier kleineren Kuppeln in den Quadranten umkränzt; weitere Kuppeln in Reihe krönen die beiden Schmalseiten. Die Höhe der Hauptkuppel beträgt 23, die des Minaretts 34 Meter; während der schlanke Turm seinen Sichtbeton zeigt, besteht die Fassade der Moschee aus sandfarbenen gespaltenen und vorgesetzten Betonquadern, die wie Naturstein wirken.
An den Längsseiten ist das Erdreich abgetragen, um das Untergeschoss freizustellen, wo sich die Begegnungsstätte befindet. Deren Haupteingang liegt jedoch auf Erdgeschosshöhe in der Straßenfront, er präsentiert sich sehr offen und einladend. Vom Empfangsbereich geht es abwärts zu einem großen Seminarraum und in ein Bistro (zu dem freilich der Zugang auch direkt von der Längsseite möglich ist) sowie in den ersten Stock zur von drei kleinen Kuppeln überwölbten Bibliothek, die einmal Literatur über die drei Buchreligionen versammeln soll. Information, Dokumentation, Bildung, vor allem für Frauen, das sollen die Schwerpunkte der für jedermann offenen Begegnungsstätte sein. Sie wurde vom Land NRW sowie der EU mit 3,2 Millionen Euro gefördert; der Rest der Gesamtbaukosten von knapp acht Millionen Euro kam »durch Spenden« zusammen, wie die Gemeinde informiert. Diese Gemeinde (der, anders als bei den regional organi- sierten christlichen Kirchengemeinden, jeder zugehören kann, der will) zählt nach Selbstauskunft gut 700 Familien, deren jede im Schnitt 6.500 Euro hätten beisteuern müssen – das für Moscheeprojekte dieser Größenordnung kein Geld von der Diyanet fließt, bezweifelt auch das Essener Zentrum für Türkeistudien. Denn gerade die frommen Muslime gehören überwiegend der sozialen Unterschicht an.
Zur Moschee erfolgt der Eingang von der Rückseite, gemeinsam für Frauen und Männer (was für den traditionellen Islam unmöglich wäre), nach der rituell vorgeschriebenen Reinigung (Waschräume im Untergeschoss) betritt man den Gebetsraum – und befindet sich nun vollständig in der Türkei. Der durchaus beeindruckende, helle Raum ist über und über mit traditioneller Ornamentik sowie mit Suren in arabischer Schrift ausgemalt, vom Scheitelpunkt der großen Kuppel stürzt ein gewaltiger Leuchter von sechs Metern Durchmesser bis auf gefühlte Kopfhöhe herab. Unter den Halbkuppeln schwebt eine Empore, der Frauengebetsraum; gegenüber dem Eingang bezeichnen Gebetsnische (Mihrab) und Kanzel die Ausrichtung nach Mekka. Der Entwurf zur Moschee stammt von Cavit Sahin (Heiligenhaus); die Innenausmalung übernahm der in der Türkei offenbar sehr angesehene Volkan Altinkaya, dessen Werk aus Blau, Rot und Blattgold sich die Gemeinde 200.000 Euro extra kosten ließ. Der Gebetsraum fasst 1200 Betende, 400 Frauen oben, 800 Männer unten.
Dies alles, das Außen, das Innen, ist irgendwie faszinierend. Die Leistung, die dieses Bauwerk möglich machte, nötigt höchsten Respekt ab: Es ist ja die Stein gewordene Sehnsucht tür-kischer Bergleute einer ehemaligen Duisburger Zeche, vor der man steht. Und doch! »Wenn man ein wirklich starkes Zeichens des Ankommens hätte setzen wollen, dann hätte man eine deutsche Moschee bauen müssen.« Sagt Aslı Sevindim, WDR-Moderatorin und Programmdirektorin der Kulturhauptstadt Ruhr.2010, die in Marxloh als Tochter türkischer Migranten aufgewachsen ist. In der Tat: Bei aller Wohlproportioniertheit des Baus, bei aller Transparenz und Freundlichkeit seiner Erscheinung, bei aller Wertschätzung für die Bauherren: Architektonisch ist die Marxloher Moschee eine nur geringfügig gebrochene Imitation türkischer Urmuster. Sie wird nie das Pittoreske loswerden, wohlwollend belächelt von all denen, die ihr nicht in Gläubigkeit verbunden sind. Baukulturell ist sie ohne Belang.
»Was wäre denn eine deutsche Moschee?«, hält Zülfiye Kaykın dagegen. Die Muslima ist hauptamtliche Geschäftsführerin der Begegnungsstätte, eine Frau Ende dreißig, hellwach, selbstbewusst, redegewandt, gemeinsam mit anderen türkischstämmigen Frauen Motor des gesamten Projekts (wofür sie 2007 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde). »In Deutschland haben sich nie Architekten mit Moscheebau beschäftigt, es gibt keine deutsche Moschee-Architektur. Hätten wir etwas anderes kennen gelernt, hätten wir darüber nachdenken können, anders zu bauen.« Mehmet Özay, der Vorsitzende der Moschee-Gemeinde, ergänzt: »Die erste Generation der eingewanderten Türken hat aus der Heimat nur diesen Stil gekannt. Sie wollten ihre Sehnsucht nach der Moschee, die sie in ihrem Dorf zurückgelassen hatten, nach 40 Jahren endlich verwirklicht sehen. Eine spätere Generation von Muslimen in Duisburg hätte vielleicht einen anderen Baustil gewählt, nicht mit Kuppel und Minarett.«
Aber sendet eine solche Moschee nicht die falsche Botschaft aus, und das jahrelang? Eine, die nicht vom Angekommensein erzählt, von der Heimat Deutschland, sondern vom Fremdgebliebensein, von der Sehnsucht zurück, von einem vormodernen Islam? Özay: »Was bedeutet denn Ankommen in Deutschland? Drückt es sich in Bauwerken aus oder nicht eher darin, dass man sich für seine Stadt, für Deutschland einsetzt? Duisburg ist für mich die Heimat. Köln könnte es nicht sein. Denn Köln will die türkischstämmigen Muslime offenbar nicht. Egal wie dort die Moschee gebaut wird.«
Die Moschee während der Bauphase. Foto © Kissel/Rapid
Die Merkez-Leute wissen sehr wohl, welch hohen sozialpolitischen Rang ihr Engagement für Duisburg und darüber hinaus besitzt. Für beide ist daher der Streit über die Gestalt der Moschee, über Stil und Größe, wie jetzt in Köln, eine verschobene Debatte. Die Kritiker, sagen sie, störe in Wahrheit, dass die Muslime in Deutschland auf einmal sichtbar werden – dabei seien sie bereits seit Jahrzehnten da. Ihre Existenz sei das Problem, nicht ihre Bauten. Zülfiye Kaykın: »Die Modernheit einer Religion macht sich nicht an Objekten fest. Der Baustil hat nichts mit der Ausprägung des Islams zu tun, der in dem Bau praktiziert wird.« Die gelernte Kauffrau versteht die Kritik, ist sich aber sicher, dass »ihre« Moschee nie hätte anders aussehen können – nicht zu diesem Zeitpunkt: »Man kann in Sachen Architektur nichts an den Haaren herbeiziehen, wenn man in den Köpfen sich nichts hat entwickeln lassen. Dieser Bau ist Ausdruck genau des Zustands, in dem sich die türkischen Gemeinden in Deutschland befinden.« Für sie und ihren Kollegen Özay sind die vielen in den letzten Jahren in Deutschland entstandenen Moscheen im osmanischen Stil auch nicht Ausdruck religiöser Rückständigkeit, sondern beweisen im Gegenteil den Mut, sich endlich mit seinem Glauben der Öffentlichkeit zu stellen. Eine Moschee zu bauen, gebe Selbstsicherheit. Und Selbstsicherheit sei die Voraussetzung für Veränderung.
Und die, so viel steht für Frau Kaykın fest, ist die größere Herausforderung, größer als der Bau. Veränderung heißt: die Frauen und Alten ihrer Gemeinde heraus aus Sprachlosigkeit und Anonymität zu holen; dafür zu sorgen, dass die Begegnungsstätte zum Gravitationszentrum für den gesamten Stadtteil wird, der durch die ökonomischen und sozialen Verwerfungen der letzten Jahrzehnte immer noch auseinanderzubrechen droht. Doch schon, freut sich Özay, sind wegen der Moschee im Viertel die Grundstückspreise gestiegen. Und es wächst im fast zur Hälfte von Türken bewohnten Marxloh ein türkischer Mittelstand (vor allem der »Hochzeitsindustrie«), dem das neue Moscheezentrum Mut machen und helfen will zu bleiben. Eine Aufgabe, die man, je nach geistiger Verfassung, als Sozialverantwortung oder als Machtpolitik verstehen kann. Die DITIB ist eine laizistische Organisation, allerdings wird sie vom türkischen Staat gelenkt, der seinen Einfluss auf die Millionen Auslandstürken nicht verlieren will; die Begegnungsstätte wird von einem Verein mit Beirat und Steuerungsgruppe getragen, alles nach deutschem Recht, ihre Bildungsangebote müssen gesamtgesellschaftlich ausgerichtet sein. Irgendwann bald werden auch die Imame aus Deutschland kommen, was auch von Kaykın und Özay dringend gewünscht wird: »Jeder Imam aus der Türkei liegt doch erst mal einen Monat mit Schock im Bett, weil er nicht verkraften kann, was für eine Gemeindestruktur er hier vorfindet!
Wird eines Tages vom Balkon des jetzt stummen Minaretts ein Muezzin rufen? Sie hätten ihm den Schlüssel zum Turm weggenommen, ulkt Mehmet Özay, damit er nicht heimlich raufsteigt und ruft. »Denn das kribbelt ja!« Um dann ernsthaft hinzuzufügen: »Solange wie dies nicht allgemein akzeptiert wird, nein. Gerade eine Religionsgemeinschaft darf doch nicht für Ärger sorgen.«
Jetzt sorgt sie erstmal fürs Feiern. //