Das schnöde Kaufhaus und die neugotische Kirche, schäbige Mietshäuser im Plattenbaustil und ein Hallenbad mit Rutschen-Röhre: Die Ruhr Area en miniature. Julius von Bismarck und Marta Dyachenko haben das Architektur-Ensemble im Frühjahr 2021 in den Landschaftspark Duisburg Nord gepflanzt. Als spannenden Neuzugang auf dem Emscherkunstweg, den man am besten per Rad erleben kann. Die Mini-Bauten stehen dort zwanglos am Routenrand. Absteigen lohnt sich auf jeden Fall. Denn all die kleinen Bauten – über 20 an der Zahl – bilden Architekturen nach, die verschwunden sind; abgerissen wurden, in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten. Das wirkt stimmungsvoll und nostalgisch dazu.
Es sind quasi kleine Denkmäler, die hier und da schon etwas Rost angesetzt haben und zusehends im Grün versinken. Rund um die Essener Volkshochschule wächst das Gras, und vor dem 60er-Jahre-Wohnkomplex aus Marl streckt sich eine Butterblume bis hinauf zum Balkon im zweiten Stock. Fast könnte man an das schlafende Dornröschen denken. Allerdings ist das Ruhrgebiet längst erwacht. Kultur und Natur statt Schmutz und Schwerindustrie könnte jener Zauberspruch heißen, der auch dem Emscherkunstweg auf die Sprünge geholfen hat.
Ein Skulpturenpfad der eigenen Art ist das, der viel erzählen kann von der Gegend, ihrer Geschichte. Und vom kleinen Fluss, der hier fließt. Es war einmal eine Kloake, gespeist aus den Abwässern des Ruhrgebiets. So floss die Emscher über Jahrzehnte dahin in ihrem tiefen Betonbett: der »dreckigste Fluss Deutschlands«. Heute, nach bald 30 Jahren der Renaturierung, ist das Bild ein ganz anderes. Grün gedeiht an den Ufern. Statt Chemie und Fäkalien führt die Emscher Quellwasser. Wie in vorindustriellen Zeiten kann sie sich schlängelnd ihren Weg durch die Landschaft bahnen. Schilf wächst, und Fische freuen sich. Auch Eisvögel wurden schon gesichtet.
Das Projekt Emscherkunst hat diesen beispiellosen Umbau seit 2010 begleitet. Alle drei Jahre kamen dazu Künstler*innen hierher mit ihren Werken. Viele waren temporär und verschwanden nach einem Sommer wieder, so zum Beispiel jene tausend kleinen Zelte, die Ai Wei Wei am Ufer aufschlug. Andere Arbeiten sind stehengeblieben, sie werden den Emschwerkunstweg auf Dauer bestücken und in den nächsten Jahren regelmäßig durch weitere Werke ergänzt.
Von den Mini-Architekturen im Landschaftspark Duisburg Nord sind es nur ein paar Kilometer auf dem Sattel bis nach Oberhausen in den Kaisergarten, wo sich Tobias Rehbergers Spiralbrücke in 496 Aluminiumbögen schwungvoll und lässig über den Rhein-Herne-Kanal windet. Wie ein Seil soll sie wirken, das über das Wasser geworfen wurde. Auf bunten Kunststoffmatten führt der beschwingte Weg übers Wasser – hin und her und dann wieder aufs Rad.
Weiter geht’s am Kanal entlang zum »Zauberlehrling«, den man schon von weitem mitten im Gehölzgarten Riphorst über die Baumkronen ragen sieht. Nicht regelgerecht und ordentlich gerade, wie es sich für einen Strommast gehört, sondern beschwingt verbogen steht er auf dem Feld. Während all die vielen uniformen Kollegen ringsum an ausgestreckten Armen pflichtbewusst ihre Leitungen tragen, hat der »Zauberlehrling« sich frei gemacht – vielleicht investiert er seine Energie lieber anderweitig.
Denkt man etwas weiter und zurück bis zum »Zauberlehrling« aus Goethes Gedicht, so könnte man das 2013 von der Gruppe »Inges Idee« erdachte Kunstwerk durchaus auch als Anspielung verstehen auf den immer mehr Ressourcen fressenden technischen Fortschritt seit der Industrialisierung. »Die ich rief, die Geister, wird‘ ich nun nicht mehr los«, so heißt es bei Goethe, und so könnte es auch jetzt heißen mit Blick auf die Zukunft unseres Planeten.
Schnell wird klar, dass es diesmal nicht um das schöne Miteinander von Kunst und Natur geht, wie so oft bei Skulpturengärten, -parks oder -pfaden. Eigens für ihren speziellen Ort entstanden, begleiten, reflektieren und kommentieren die Arbeiten am »Emscherkunstweg« die Geschichte und den Wandel des Ruhrgebiets auf ganz unterschiedliche Weise.
Aus einer stillgelegten Kläranlage wurde ein Park
Im Rahmen des Emscher-Umbaus, der den Fluss zurück in einen naturnahen Zustand führen soll, wurden in den 1990er Jahren viele Kläranlagen stillgelegt. So auch diejenige im Stadtteil Bottrop-Ebel, wo nun ein Park entstanden ist. Der richtige Ort für den Gartenkünstler Piet Oudolf, der eines der beiden runden Klärbecken mit Erde gefüllt und darin eine Pflanzenkomposition aus Stauden und Gräsern angelegt hat. Wege und Sitzgelegenheiten machen sein »Theater der Pflanzen« komplett. In eine ähnliche Richtung zielt der US-Künstler Mark Dion, wenn er einen alten Gastank zur Vogelbeobachtungsstation für Amateur-Ornithologen umbaut.
Die vermeintlich unberührte Landschaft feiert Olaf Nicolai mit einem »Monument for a forgotten Future«. Dabei bleibt er allerdings nicht an der planvoll renaturierten Emscher, der Künstler lässt den Blick schweifen bis in den Joshua Tree Nationalpark nahe Los Angeles und baut eine Felsformation, die er dort fand, originalgetreu nach. Als »unnatürliche Naturerscheinung« beschreibt Nicolai seine Konstruktion aus Stahlgerüst und Spritzbeton. Der Clou: Der hohle Kunstfels beherbergt eine Musikanlage und lädt während der Sommermonate zur musikalischen Pause.
Nach der Rast kann der Weg weitergehen – vorbei etwa an Silke Wagners blau-weißem Mosaik auf einem Faulbehälter, an Tadashi Kawamatas hölzernem Tower, von dem aus man die Aussicht auf die ruhige Gegend genießt, oder auch am markanten Löschteich, den Massimo Bartolini nach dem Vorbild von Kasimir Malewitsch und seinen schwarzen Quadraten und Kreisen auf weißem Grund designt hat.
Wer durchhält, gelangt am Ende zum Emscherquellhof, wo Henrik Hakansson zwei überdimensionale Insektenhotels installiert hat, die mitten in einer blühenden Wiese Zeichen setzen gegen das Bienensterben und für die Artenvielfalt. Wem die Puste fehlt für 80 Kilometer an einem Tag, kann es Dornröschen gleichtun und eine Runde schlafen. Eigens für müde Reisende hat Andreas Strauss an zwei Stellen auf dem Weg Schlafkabinen in Kanalrohren eingerichtet. Wird man mit summenden Bienen, zwitschernden Vögeln und plätscherndem Quellwasser wach – kann man auf den Prinzenkuss vielleicht verzichten.