Herrlich, diese Tierwelt! Zwei weiße Wölfe rufen in die Kälte der Arktis hinaus, die Yuri Pritisk für seine Fotos besucht hat, während auf einem anderen Bild ein Eisbärenjunges mit seiner Mutter über eine Schneefläche tapert. Und im Hintergrund drei Schlote qualmen. Denn die Idylle, die der russische Fotograf in der Auswahl um den Felix Schoeller Award in der Kategorie Nachhaltigkeit zeigt, ist längst keine mehr. Das Eis der Arktis schmilzt – seit den 1970er Jahren ist ihre Durchschnittstemperatur um 2,3 Grad gestiegen.
»Diese Bilder aus der Arktis sind mir lange im Gedächtnis geblieben«, sagt Nils-Arne Kässens in der Rückschau auf die Jurysitzungen zum Felix Schoeller Photo Award. Nein, Fotos verhindern keine Krisen und Kriege. Aber sie verändern unsere Wahrnehmung, unseren Blick auf die Welt. Zum sechsten Mal vergeben der Spezialpapierhersteller Felix Schoeller und die Friedensstadt Osnabrück daher nicht nur den Photo Award an professionelle Fotograf*innen in den Kategorien Nachwuchs und Nachhaltigkeit, Fotojournalismus und Porträt – verbunden mit einem Preisgeld von jeweils 5000 Euro. Sondern zum dritten Mal auch den »Deutschen Friedenspreis für Fotografie« – eine Auszeichnung, die vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und des 375. Jubiläums zum »Westfälischen Frieden« aktueller kaum sein könnte.
Dementsprechend groß ist die Aufmerksamkeit: Rund 2000 Werke aus 98 Ländern wurden diesmal in fünf Kategorien eingereicht. Im Bereich »Nachhaltigkeit« wird Simone Tramonte für seine Reihe »New ways to the future«, im Bereich »Porträt« Damian Lemanski für seine »Kids of Lunik IX« geehrt. Der Nachwuchsförderpreis würdigt Talente, die noch im Studium, in der Berufsausbildung sind oder in der Fotoassistenz arbeiten. Gewinnerin ist Lisa Marie Aubonteng aus Berlin, die sich in »The holy women« mit sexueller und körperlicher Gewalt an Frauen in Ghana beschäftigt.
Offen für viele fotografische Genres
»Das Besondere am Deutschen Friedenspreis für Fotografie ist, dass wir mit ihm konzeptionelle Arbeiten würdigen«, sagt Nils-Arne Kässens, der das Museumsquartier in Osnabrück leitet, wo die Siegerarbeiten und Werke der 25 Nominierten bis 6. August nun ausgestellt sind. Die Jury würde nicht nur die Ästhetik einer Serie bewerten, sondern auch ihre Programmatik, ihr Konzept. Schnell habe man sich für den Friedenspreis 2023 auf ein ungewöhnliches Duo geeinigt: Sebastian Wells lebt in Berlin. Aber er entwickelte eine Arbeit gemeinsam mit dem ukrainischen Modefotografen Vsevolod Kazarin aus Kiew. Die jungen Menschen, die die beiden in der ukrainischen Hauptstadt porträtierten, stünden für den Widerstand der hiesigen Kunstszene, die sich nicht ihrer Identität berauben lassen will. Nicht trotz, sondern gerade wegen des Krieges.
Der »Deutsche Friedenspreis für Fotografie« ist mit 10.000 Euro dotiert und dabei offen für viele fotografische Genres: Er würdigt Bilder, die das Bemühen um eine friedliche Welt widerspiegeln – dabei können journalistische Arbeiten ebenso eingereicht werden wie solche aus der Porträt-, Architektur-, Natur- oder Landschaftsfotografie. Neben Krisen und Kriegen hätten sich gleich mehrere Serien mit Gewalt gegen Mädchen und Frauen und einige Fotograf*innen mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen beschäftigt. Juriert hatte Nils-Arne Kässens die eingereichten Arbeiten gemeinsam mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Cathérine Hug vom Kunsthaus Zürich, der Art Advisor Simone Klein, Hannah Schuh, Visual Director des Kunstmagazins Art, sowie mit dem Jurysprecher und Fotografen Michael Dannenmann. Ergänzt wurde die Auswahlkommission für den »Deutschen Friedenspreis für Fotografie« außerdem durch Ulrich Schneckener, der Professor für Internationale Beziehungen, Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Osnabrück ist.
Die eingereichten Bilder durften nicht älter als zwei Jahre sein. »Wir waren überrascht, wie stark das Teilnehmerfeld trotz der Lockdowns war, in denen viele Fotograf*innen weltweit ja nur sehr eingeschränkt arbeiten konnten«, sagt Kässens. Beurteilt wurden die eingereichten Bilder von der Jury »blind«, das heißt vorgelegt wurden sie anonym. »Erst später haben wir erfahren, wie komplex etwa die Siegerserie angelegt ist, dass die beiden Fotografen auch ein Magazin für und über die Kunstszene in Kiew herausgeben.« Kunst – als Akt des Widerstands.