»Solastalgie« hat der Philosoph Glenn Albrecht eine Art Heimweh genannt – nach einer Landschaft, die durch Umweltkatastrophen zerstört wurde. Oder durch Raubbau an der Natur wie durch den Braunkohleabbau in Garzweiler II. Wie nah uns der Klimawandel inzwischen kommt, zeigt die Künstlerin Swaantje Güntzel in eindrücklichen Serien.
Sie buddeln unentwegt. Sechs riesige Schaufelradbagger des Energiekonzerns RWE sind im Abbaufeld Garzweiler II gerade im Einsatz. Fressen sich voran – auch wenn der Kohleausstieg längst beschlossen ist. Schön ist das nicht. Alles andere als das. Aber warum schickt dann Swaantje Güntzel ausgerechnet vergnügte Einhörner über das brutal große Abbaufeld, das ein chinesischer Kopist für sie in Öl gemalt hat? Und warum tummeln sich auf einem Foto, das eines der vielen verlassenen Häuser rund um das Baggerloch zeigt, fröhliche Frösche mit Kulleraugen und flauschige Kätzchen?
Zerstörte Natur und Heimat, garniert mit quietschbunten Stickern: Der ästhetische Bruch ist offenbar, natürlich gewollt und Ausdruck einer Kultur des Ausblendens und Wegschauens. »Können Sie nicht mal was Schönes machen?« hat die in Soest geborene Künstlerin eine Ausstellung genannt, die sie bis 16. Mai in der Hamburger Galerie Holthoff zeigt. Darunter auch jenes Einhorn-Bild. Seit vielen Jahren schon beschäftigt sich Swaantje Güntzel mit der Entfremdung des Menschen von der Natur, mit Umweltzerstörung und den Auswirkungen der Klimakrise im globalen Zusammenhang. Durchaus mit dem Anspruch, aufklärerisch zu sein – etwa wenn sie vermeintlich pittoreske Wandteller mit von Naturschützern markierten Bäumen im Hambacher Forst zeigt, die von Fledermäusen bewohnt werden und eigentlich nicht gefällt werden dürfen. Ihre Kunst ist aufrüttelnd, wenn sie Fragmente des Immerather Doms präsentiert. Sandsteine, deren Steinmetzmarkierungen von einer langen Kulturgeschichte erzählen, die die Bagger gerade ausradieren. Aber auch anrührend, wenn sie eine Immerather Weide oder Gartenlampe ausstellt, als Symbole vergangener Zuhause – zerstört für den Braunkohleabbau.
»Solastalgie« hatte 2005 der Philosoph Glenn Albrecht den seelischen Stress genannt, den Umweltveränderungen bei Menschen hervorrufen können – durch Klimawandel, Artensterben, Naturkatastrophen oder Umsiedlungspolitik. »Es geht in gewisser Weise um eine Art Schmerz, den wir durch den Verlust unseres Umfeld empfinden«, so beschreibt es Swaantje Güntzel. Wie eine Art Heimweh – nach einer Landschaft, die etwa Waldbrände zerstörten. Oder eben die Braunkohlebagger in Garzweiler II.
»Ich bin keine Aktivistin«, sagt Güntzel. Aber sehr wohl eine Künstlerin, die Stellung bezieht und versucht, den Raubbau des Menschen in verschiedenen Kontexten aufzuzeigen und dafür immer wieder mit Wissenschaftlern zusammenarbeitet. Schließlich hänge alles mit allem zusammen, der Braunkohleabbau in Garzweiler mit dem Klimanotstand weltweit – und in gewisser Weise auch mit den Naturkatastrophen am anderen Ende des Erdballs: Auf unserem Coverbild ist die Künstlerin mit kohlegeschwärztem Gesicht zu sehen. Sie trägt den Ruß verbrannter Bäume gigantischer Waldbrände im australischen New South Wales auf der Haut. Als Zeichen einer Zerstörung, die auf bedrückende Weise immer näher kommt. Nicht nur ihr, sondern in gewisser Weise uns allen.
Teile ihrer Garzweiler-Serie zeigt Swaantje Güntzel ab 23. Mai 2021 in der Ausstellung »Gegen Gewalt?« in der Markuskirche Hannover, Infos hier
Die nächsten Monate sind Swaantje Güntzel und ihr Partner Jan Philip Scheibe in Monheim zu Gast: Das Künstlerduo zeigt die mehrteilige Kunstaktionsreihe »PRESERVED // Schwemmland / Monheim am Rhein«, bei der es auch um die Rekultivierung heimischer Kulturpflanzen im öffentlichen Raum geht.