Es ist 17 Jahre her, da vergab die Musikzeitschrift Visions an eine Platte von The Notwist sechs Punkte. Von fünf möglichen. An ihrem Status als Kritikerliebling hat sich für die Band seitdem nichts gerändert. An ihrem Sound sehr wohl. Früher waren The Notwist eine Gitarrenband, die sich auf laut/leise-Muster verstand. Minutenlang regierte der Flüsterton, dann schwoll die Musik plötzlich zur Lärmwelle an. Es war ein bisschen wie in Hollywood-Filmen, wo der Schock immer dann droht, wenn die Sonne durchs Küchenfenster scheint und die Cheerleaderin mit ihrer Freundin telefoniert. Inzwischen haben sich The Notwist mehrfach verpuppt und verbinden diverse Genres – Indie, Elektronik, Orchestermusik.
Für das Düsseldorfer New Fall Festival sind sie eine Idealbesetzung. Schließlich geht es dort um das Überschreiten musikalischer Grenzen. »Ungewöhnliche Bands an ungewöhnlichen Orten« lautet das Motto. Sämtliche Konzerte finden in der Tonhalle und im holzvertäfelten Robert-Schumann-Saal statt. Beide Bühnen werden normalerweise ausschließlich von klassischen Künstlern bespielt. Das New Fall Festival soll das ändern, vielleicht sogar langfristig. Die Unterscheidung zwischen E- und U-Musik sei nicht mehr zeitgemäß, finden die Veranstalter. Ob man dieser These zustimmt oder nicht – das Festivalprogramm ist nicht von der Stange. Manche Künstler haben seit Jahren nicht Deutschland gespielt. Das gilt z.B. für Chefmelancholiker Stuart Staples. Im Gegensatz zu den meisten Acts beim New Fall Festivals ist er edles Ambiente gewohnt. Mit seiner Band Tindersticks hat er bereits die Londoner Royal Festival Hall und die Pariser Folies Bergère bespielt. Nun kommt das Publikum im Robert-Schumann-Saal in den Genuss von Staples’ eleganten Balladen.
Eine Seltenheit ist auch der gemeinsame Auftritt von Komponist und Oscar-Preisträger Ryuichi Sakamoto mit dem deutschen DJ Alva Noto. Klavier trifft hier auf Laptop-Sounds. Sakamoto ist nicht der einzige Künstler, der sich von seinem ursprünglichen Sound entfernt. Neues Terrain betreten auch die Headliner des Festivals. In ihrer alten Band Mando Diao gaben Björn Dixgård und Gustaf Norén die breitbeinigen Rocker; in der neuen Formation Caligola haben sie sich eher dem Soul verschrieben – und klingen, als hätten sie in letzter Zeit eine Menge Mark Ronson gehört.
Anders als The Notwist, Tindersticks oder Sakamoto zielen Caligola mit ihrer Musik auf die Tanzfläche. Das gilt auch für die in Berlin lebende Brasilianerin Dillon sowie die schwedische Band When Saints Go Machine. Ihre Auftritte sind ein mutiges Experiment. Immerhin werden hier im Club verwurzelte Künstler in den Symphoniesaal verpflanzt. Wie gut das bei fester Bestuhlung funktioniert, wird sich zeigen. Problemlos dürften dagegen Bands wie Ewert and the Two Dragons oder The Black Atlantic sein, deren stiller Folk im Konzertsaal genauso daheim ist wie am Lagerfeuer. | JUK
New Fall Festival, 3. bis 7. Oktober 2012, Düsseldorf, Tonhalle und Robert-Schumann-Saal, www.new-fall-festival.de