TEXT: STEFANIE STADEL
In New York überwältigte er mit künstlichen Wasserfällen, für die Londoner Tate Modern ließ er die Sonne aufgehen. In der Langen Foundation in Neuss kommt Olafur Eliasson nun ohne solche Spektakel an.
Da sieht man ihn kreisen, den schwarzen Ventilator. Olafur Eliasson hatte ihn 1997 erstmals am eigenen Stromkabel unter die Decke montiert. Nun hängt er wieder – diesmal mitten im zentralen Ausstellungssaal der Langen Foundation in Neuss. Wo das einfache, ergreifende Schauspiel noch einmal lebendig wird, mit allem, was dazu gehört: dem unberechenbaren Tanz der Maschine. Begleitet vom Luftzug und einem Rauschen im Raum, das sich rasch entfernt, um kurz darauf wieder ganz nah heranzueilen. Mit den Ausstellungsbesuchern, die sich immer wieder genötigt fühlen, dem sausenden Etwas auszuweichen. Und mit den vielen Fragen, die rund um den wildgewordenen Ventiltor in der Luft liegen: Ist es reine Willkür? Oder kehren bestimmte Bewegungen wieder? Gehorcht das schwingende Ding vielleicht physikalischen Gesetzen? Aber welche könnten das sein?
Christian Boros fand früh Gefallen an dem allen und erwarb das Werk für die eigene Sammlung. Sein Schöpfer, Eliasson, war damals um die 30 und kaum bekannt, der sammelnde Medienunternehmer wenig älter. Seither hat sich viel getan: Boros ist gemeinsam mit seiner Frau Karen zum Großsammler aufgestiegen. Und Eliasson – seit Jahren ein Star auf internationalem Parkett – hat sich als eine der Schlüsselfiguren in der Kollektion etabliert.
Über 40 Werke des in Dänemark geborenen, auf Island aufgewachsenen, in Kopenhagen und Berlin lebenden Forscher-Künstlers haben die Boros in den vergangenen zwanzig Jahren usammengetragen. Die Schau in Neuss bietet eine geglückte Auswahl daraus. Gut daran ist, dass sie besonderen Wert auf die Grundlagen von Eliassons ziemlich eigener, außergewöhnlicher, überraschender Kunst legt, die auf physikalische Prozesse baut und optische Effekte nutzt. Die Naturphänomene veranschaulicht – mit Licht, Wasser, Bewegung, Reflexion spielt. Und die es besonders in den Anfängen verstand, mit einfachsten Mitteln reizvolle Effekte zu kreieren, dabei immer wieder interessante Fragen aufzuwerfend.
Mit jenem simplen Ventilator etwa, der sich aus eigenem Antrieb in Schwung hält. Oder auch mit einer farbgetränkten Kugel und einem quadratischen Blatt Papier. Beides hatte Eliasson seinem Vater 1998 mitgegeben ins Segelboot. Außerdem genaue Anweisungen: Draußen auf hoher See sollte der Vater die Kugel mitten aufs Blatt setzen. Den Rest erledigte der Seegang. Siebenmal wurde die Prozedur wiederholt. Die minimalen zeichnerischen Ergebnisse des konzeptuellen Versuchs reihen sich nun in der Langen Foundation. Sie bieten das wohl simpelste Exempel für die von Eliasson fortwährend betriebene Verquickung von Natur und Kultur. Und erörtern nebenbei noch das alte Problem der Autorschaft. Wer ist es gewesen? Der Künstler, sein Vater oder vielleicht doch eher Wasser und Wind?
Sammler Boros zieht die sieben schlichten Blätter als Belege dafür heran, dass Eliasson es ihm nicht immer leicht gemacht habe. Und als einen der Gründe dafür, dass er drei Jahre lang gebraucht habe, sich mit dessen Ideen anzufreunden. Es sei durchaus keine Liebe auf den ersten Blick gewesen. Leichter dürfte das Verlieben bei Eliassons Mauern gewesen sein, die aus vielfach verschachtelten, in sich spiegelnden Steinen zusammengesetzt sind und durch ihre kaum nachvollziehbaren Vielfach-Reflexionen verzaubern. Ebenso bei der riesigen, 1999 ersonnenen Lichtwand, die jetzt den zweiten der beiden großen Ausstellungssäle der Langen Foundation in ständig wechselnde Farben taucht – vom zartesten Blau bis zum glühendsten Rot, die Palette ist grenzenlos.
Ihn interessiere immer nur die Gegenwart, sagt Boros. Gekauft wird das, was gerade entsteht. Gemeinsam mit der Gattin kommt er eben aus Brasilien, wo man eines der neuesten Projekte von Eliasson in Augenschein genommen hat. Der Künstler schafft seine Weltweit-Projekte längst nicht mehr allein. Seine Crew ist in den Jahren auf 90 Leute angewachsen, die beim Forschen und Basteln im Berliner Atelier-Labor helfen: Architekten, Physiker, Handwerker, Spezialisten auf allerlei Gebieten.
Gemeinsam produziert man inzwischen monumentale Spektakel, die in ihrer Breitenwirkung sicher weit über das in Neuss Gezeigte hinaus gehen. Zig Meter hohe Wasserfälle in New York etwa oder eine riesige Sonne an der spiegelnden Decke der Tate Modern in London. In Dänemarks wohl bekanntestes Museum ließ Eliasson unlängst etliche Wagenladungen grauen Gerölls aus Island verfrachten, um dort auf hunderten Quadratmetern Ausstellungsfläche eine Landschaft mit funktionstüchtigem Bachlauf nachzubauen. Gegen solche Überwältigungsmanöver wirkt manch eine Arbeit in der Langen Foundation beinahe wie eine sachliche Versuchsanordnung. Zumal der Künstler sich nirgends Mühe gibt, die Mechanik hinter dem effektvollen Geschehen zu verbergen, Funktionsweisen seiner Werke zu vertuschen. Man sieht Schläuche, Pumpen, Kabel. Die Prozesse bleiben überall durchschaubar, was der Ästhetik aber nicht im Wege steht, den Entdeckerreiz nicht mindert, im Gegenteil eher anstachelt.
Verblüfft steht man in Neuss vor dem zwei Meter hohen Glaszylinder voll Wasser, in dem sich unaufhörlich ein Strudel von oben bis zum Boden schraubt. Oder vor dem Spiegel aus Folie, die Eliasson auf einen runden Rahmen gezogen hat und beobachtet, wie die vorgespiegelte Wirklichkeit sich fortwährend wandelt. Den Rhythmus gibt eine ächzende Pumpe auf dem Fußboden vor, indem sie die Folie im Wechsel konkav oder konvex wölbt. Mal sieht sich der Betrachter prominent in den Vordergrund gedrängt, dann wieder weicht das eigene Spiegelbild zurück, wird klein, fast nebensächlich.
Man vermisst nichts – mit Blick in den Zauberspiegel und auf den Tanz des Ventilators, im Raum voller Farben und vor Mauern, in denen sich das Auge verirrt. Vielmehr beginnt man in der Langen Foundation, den künstlerischen Mehrwert von Mega-Spektakeln wie den millionenschweren Wasserfällen oder saalfüllenden Indoor-Landschaften in Zweifel zu ziehen.
Langen Foundation, Neuss, bis 18. Oktober 2015, Tel.: 02182 / 570115