TEXT: ANDREAS WILINK
»Die Gebühr dafür, dass es einem gut geht, muss bar beglichen werden.« Das ist einer dieser knappen Sätze, die zu Mitchel passen. Darin zeigt er sich, obgleich sonst wortkarg, freigebig. Ebenso, wenn er einem alten Freund und Obdachlosen etwas zusteckt (leider auch im Tausch gegen dessen Revolver ein Sprungmesser) oder seine Schwester unterstützt, die besser aus der Stadt verschwinden und in Paris untertauchen sollte, denn ihr Bruder lebt gefährlich. Mitchel (Colin Farrell, der George Clooney ziemlich alt aussehen lässt) saß drei Jahre lang in Pentonville wegen schwerer Körperverletzung. Äußerlich merkt man es ihm nicht an. Was er auch trägt, es steht ihm gut: Anzug, Lederjacke, Kapuzenshirt. Aber es fühlt sich fremd an – wie die Stadt, wie das Leben selbst. Das findet auch der Filmstar Charlotte (Keira Knightley). Selbst für ihr abgeschottetes Haus, das sie mit einem philosophischen Drogenwrack als einzigem Mitbewohner und mit zwei Francis Bacons teilt, braucht sie einen Bodyguard, um sich vor den Fotografen der englischen Boulevardpresse zu schützen, die offenbar noch hemmungsloser sind als Italiens Paparazzi. Mitchel nimmt den Job an, der mehr und mehr zur Privatsache wird. Die alte Gang hält er lieber auf Abstand. Vor allem Boss Gant, der wie ein Raubtier noch eine Sekunde, bevor er sein Opfer reißt, ruhig ist. Aber der Ausstieg gelingt nicht. Ein Gangster bleibt, was er ist – wie ein Alkoholiker, auch wenn er abstinent bleibt.
William Monahans nach eigenem Drehbuch inszenierter Thriller »London Boulevard« ist sehr smart darin, eine abgefuckte Welt zu zeigen. Mitchel fackelt nicht lang, wenn er zum Angriff übergeht, auch wenn er gelegentlich Rilke zitiert (»Vielleicht ist das Schreckliche das, was unsere Hilfe braucht«). Am besten ist der Film dann, wenn er auf intelligente Weise Brutalität ins Zeichenhafte übersetzt. Etwa beim Totschlag an dem Clochard: zwei Kids im Gegenlicht, das Messer, das über den Boden schlittert, gesprenkelt mit Blutstropfen. Das genügt. Für kurze Zeit scheint es, als könne Mitchel sich aus dem Bann des Bösen befreien und Charlotte nach Los Angeles ins Hotel Chateau Marmont folgen. Aber ein Moment der Schwäche und des Zögerns, ob aus Mitleid, Gleichgültigkeit, Verachtung oder Ekel, wird ihn zurückhalten. Auf dem Sunset Boulevard wartet Charlotte. »Einer wartet immer«, sagt der Mundharmonika-Mann am Ende von »Spiel mir das Lied vom Tod«.
»London Boulevard«; Regie: William Monahan; Darsteller: Colin Farrell, Keira Knightley, David Tewlis, Ray Winston; GB 2011; 104 Min.; Start: 1. Dez. 2011.