TEXT: ANDREJ KLAHN
Das erste Buch, das er zusammen mit Viola Eckelt herausbrachte, kostete Axel von Ernst zwei schlaflose Nächte. Grund dafür war nicht das finanzielle Risiko des Büchermachens. Die Kosten übernahm das Bochumer Schauspielhaus, wo seine Partnerin als Dramaturgin tätig war. Matthias Hartmanns Ära sollte 2005 mit einem vergleichsweise luxuriös ausgestatteten »Buch über das Theatermachen« beschlossen werden. Erschienen ist es im Klartext Verlag. Von Ernst hatte damals Konzeption und Redaktion übernommen und sich selbst als Reporter den Auftrag erteilt, 48 Stunden am Stück Theaterbetrieb mitzuschreiben. »Das war unser Lehrgang im Büchermachen«, sagt von Ernst, »und wir haben uns damals gedacht: Das könnten wir doch öfter machen.« So fing es an.
Ein Jahr später hoben die studierten Germanisten zusammen in Düsseldorf den Lilienfeld Verlag aus der Taufe. Zu einer Zeit, als die Welle von Independent-Neugründungen gerade wieder abebbte. Sie hatte »Blumenbar« oder »Kookbooks« hervorgebracht, Verlage, die mit ihren zeitgenössischen Programmen auf ein junges Publikum zielten. Und Lilienfeld? Ein 3.000-Seelen-Dorf, das irgendwo in Niederösterreich liegt. Doch der Verlagsname bezieht sich nicht auf einen realen Ort. Eher schon konzentriert er das Aroma einer Zeit. Die 1920er Jahren sollen anklingen, eine literarische Tradition. »Wir haben praktisch einen alten Verlag neu erfunden«, sagt von Ernst.
Ausgraben, bewahren, wiederentdecken, so lautet die verlegerische Maxime bis heute. »Wir lesen kaum Neuerscheinungen«, sagt von Ernst. »Mit W.G. Sebald hört mein Interesse für die jüngere deutsche Literatur eigentlich auf.« An wichtigen Autoren, die warum auch immer vergessen worden sind, mangelt es nicht. Viola Eckelt und Axel von Ernst wollen das, was ihnen gefällt, wieder bekannt oder für das deutschsprachige Publikum erstmalig zugänglich machen. Schon das erste Programm wies 2007 die Richtung: Der Künstlerroman »Staub und Sterne« des 1931 verstorbenen dänischen Autors Knud Hjortø erschien im Original 1904, aus dem Nachlass Oswald Spenglers förderte der Lilienfeld Verlag in Deutschland unveröffentlichte Tagebuchnotizen zutage. Das Echo in den überregionalen Feuilletons war beachtlich, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung nahm sich gar Botho Strauß der Sache Spengler rezensierend an. Obwohl sich die prominente Beachtung nicht durchschlagend auf die Verkaufszahlen auswirkte, haben junge Verlage schon schlechtere Starts hingelegt.
An skeptischen Stimmen hinsichtlich des Verlags-Profils mangelte es von Anfang an nicht. Eckelt und von Ernst selbst rechneten mit dem baldigen Ende. »Aber betriebswirtschaftliches Denken ist manchmal auch ein Hemmnis. Einige unsere Bücher sind sehr erfolgreich gelaufen, obwohl sie als unverkäuflich galten.« Die Entwicklung des Verlages in den ersten fünf Jahren zeigt, dass sich Hartnäckigkeit lohnen kann. Seit dem letzten Jahr ist das Lilienfeld-Büro nicht mehr im Wohnzimmer der privaten Wohnung zu finden, sondern in angemieteten Räumen auf der Ackerstr. 20 nahe des Hauptbahnhofs. An den Wänden klebt gelbe 70er Jahre-Tapete, in den Regalen steht Literatur aus dem frühen 20. Jahrhundert, die im Lilienfeld Verlag in den letzten Jahren erschienen ist. Vier bis sechs Titel kommen pro Jahr heraus. Darunter Werke des 1941 verstorbenen Franz Hessel, den Walter Benjamin einst als deutschen Wiedergänger des französischen Flaneurs feierte; oder Emmanuel Boves kleiner Roman »Schuld«, ein Nebenwerk des 1945 verstorbenen Franzosen, der von Rilke und Beckett bewundert wurde. Beide Autoren erscheinen in der aufwendig gestalteten Reihe Lilienfeldiana, die das Halbleinen wörtlich nimmt. Die Hälfte des Covers wird in Leinen gebunden, auf der anderen Hälfte finden sich Motive von zeitgenössischen bildenden Künstlern, die häufig aus dem Umfeld der Düsseldorfer Akademie stammen wie Andrea Lehmann, Simone Lucas oder Sven Kroner.
Keine Neu-, sondern überhaupt eine Entdeckung für das deutschsprachige Publikum sind die Romane des 2010 verstorbenen US-amerikanischen Schriftstellers Donald Windham, auf den Axel von Ernst während einer Recherche nach einem belgischen Décadence-Schriftsteller zufällig aufmerksam geworden ist. Als der Übersetzer Alexander Konrad dann in New York anrief, um Windham persönlich um die Rechte zu bitten, habe der sich wiederholt danach erkundigt, ob man ihn tatsächlich aus Deutschland anrufe. Heute zählen Windhams Romane »Dog Star« und »Zwei Menschen« zu den Erfolgen des Lilienfeld Verlags, der 2011 mit dem Förderpreis der Kurt-Wolff-Stiftung ausgezeichnet wurde. »Wir sind in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen«, sagt von Ernst, der neben seiner verlegerischen Arbeit selbst schreibt. »Wir arbeiten kostendeckend. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem sich entscheiden wird, ob wir nicht nur die Bücher, die wir machen, finanzieren können, sondern auch uns selbst.«
DER VERLEGER EMPFIEHLT:
Herbert Schlüter war ein Weggefährte Klaus Manns, einer der vielversprechendsten Autoren seiner Zeit. Der 1932 fertig gestellte Roman »Nach fünf Jahren«, in dem es um die Verluste geht, die mit dem Erwachsenwerden verbunden sind, konnte nicht mehr, wie geplant, bei S. Fischer erscheinen, weil Schlüter freiwillig ins Exil ging. Danach hat er als Schriftsteller nie wieder Fuß gefasst. Über die Rechte an dem Buch haben wir mit der italienischen Hausdame des Ehepaares Schlüter verhandelt, die sie nach seinem Tod 2004 geerbt hatte.
Herbert Schlüter: »Nach fünf Jahren«, Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2008, 192 S., 19,90 Euro. www.lilienfeld-verlag.de