INTERVIEWS: ULRICH DEUTER
Neu ist: Jede Stadt bekommt ein eigenes Programm. Dafür gibt es künstlerbegleitete Busfahrten zur Nachbarstadt sowie mit »Chez Icke« ein vierfaches Festivalzentrum, das mittels im Livestream floatender Barvatare alles verbindet.
K.WEST: Die diesjährigen »Impulse« wollen ein bisschen anders sein. Z.B. haben sie ein Motto. Es lautet: »Under the influence«. Wer steht denn unter Einfluss und wer bitte denn nicht?
MALZACHER: Unsere Antwort ist natürlich, dass alles unter Einfluss steht – es geht ja um kulturelle Identität, die ist nie rein. Deshalb hinterfragen wir damit auch den Auftrag von Impulse: Was ist denn freies Theater im deutschsprachigen Raum, wenn diese Szene, anders als vor 20 Jahren, sich international orientiert und produziert? Um das zu untersuchen, nehmen wir die Definition von Impulse strenger als in der Vergangenheit und haben ausschließlich Künstler eingeladen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland, Österreich oder der Schweiz haben. Aber: Der eine ist in Australien geboren, die andere in Israel, die dritte in Dänemark, andere haben polnische oder türkische Pässe. Da interessiert uns natürlich, ob es tatsächlich etwas Spezifisches gibt, das Arbeiten prägt, die im deutschsprachigen Raum entstehen.
K.WEST: Die Impulse wollen also herausfinden, was es bedeutet, als deutscher oder nichtdeutscher Theatermacher in Deutschland zu arbeiten?
MALZACHER: Das ist für uns ja die Möglichkeit, eine große gesellschaftliche Frage zu adressieren: Wie bildet sich individuelle aber auch kollektive Identität, wenn doch in der Welt gerade alles so sehr im Fluss ist? Ein Beispiel: Damian Rebgetz, der bei uns eine Uraufführung zeigen wird, ist geprägt von frühen akustischen Erfahrungen. Bei ihm – er ist auch Musiker – sind das Deckenventilatoren: Rebgetz stammt aus Australien. Und wenn er dieses Geräusch hört, versetzt ihn das mit einem Mal in einen anderen kulturellen Raum.
K.WEST: Macht es noch Sinn, nach der Abgrenzung vom freien zum etablierten Theater zu fragen?
MALZACHER: Wir definieren das freie Theater als eine andere Sparte des Theaters, so wie Tanztheater eine Sparte ist. Insofern liegt Stefanie Wenner, der Festivaldramaturgin, und mir sehr daran, den Unterschied zu den Stadttheatern mit ihrem Schwerpunkt auf Ensembles und dramatischen Texten zu betonen. Wir haben gar kein Interesse, diese Spannung aufzuheben. Sicher gibt es spannende Koproduktionen. Aber was sollten Gruppen wie »She She Pop« oder »Showcase Beat le Mot« auf Dauer im Stadttheater?
K.WEST: Das heißt, das freie Theater besitzt nach wie vor eine eigene Ästhetik?
MALZACHER: Viele eigene Ästhetiken! Ich mag den englischen Begriff devised theatre für das, was freies Theater im Kern ausmacht: Dass quasi jede Produktion bei Null anfängt. Es muss kein Text da sein, der inszeniert wird, kann aber. Oder die Arbeit geht vom Licht aus oder einem bestimmtem Raum. Oder von einem philosophischen Konzept oder von einer Schnapsidee. Welchen Stellenwert die einzelnen Zeichensysteme haben, kann frei definiert werden. Da sind die Stadttheater viel festgelegter durch ihre Ensembles, ihre Arbeitsstrukturen, aber auch durch ihren spezifischen kulturellen Auftrag. Die können das mal machen, aber nicht dauernd.
K.WEST: Showcase Beat le Mot und She She Pop sind gefühlt zum 20. Mal bei den Impulsen. Das Theater Hora hingegen war mit »Disabled Theater« nicht nur bei der letzten Ruhrtriennale zu sehen, sondern ist auch beim diesjährigen Theatertreffen, She She Pop waren dies auch schon. Wird das Angebot dünn? Beklauen sich die Festivals einfach gegenseitig?
MALZACHER: Natürlich gibt es solche Wiederholungen, die Szene ist ja auch nicht unendlich groß. Aber das betrifft ja selten das Publikum, das diese Arbeiten alle in der eigenen Stadt noch nicht sehen konnte. Außerdem geht es nicht nur darum, möglichst originell in der Auswahl zu sein, sondern auch, in welchen Kontext die Arbeiten gestellt werden. So ein Festival ist ja der Versuch einer Verdichtung. Und man kann hoffentlich sehen, dass die Künstler und ihre Handschriften und Inhalte in einem Dialog miteinander stehen.
K.WEST: Viele Produktionen geben sich politisch: Bernadette la Hengsts »Bedingungsloses Grundeinsingen«, »Revolution Vakuum« von Tamer Yiğit und Branka Prlić, »Schützen« von Schmidt und Meppelink, »Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller« von Andcompany&Co. Auf mich wirkt das ein wenig verzweifelt, denn der kommende Aufstand, er kommt einfach nicht.
MALZACHER: Ich finde nicht, dass das verzweifelt ist. Nachdem das Theater als die politischste der Künste in die Krise geraten war darüber, wie Politik auf der Bühne irgendeinen Ausdruck finden könnte, ist es jetzt erneut dabei herauszufinden, wie seine Kunst wieder politisch sein könnte. Da sind diese Arbeiten Versuche.
K.WEST: Geben sie Antworten?
MALZACHER: Sie stellen die richtigen Fragen. Aber wir befinden uns ja auch als Gesellschaft gerade auf einer Suche – das ist das wacklige Terrain auf dem wir versuchen, wieder stärkere politische Thesen zu formulieren. Yael Bartanas Arbeit ist nun sehr explizit politisch, da verschwimmt die Grenze zwischen künstlerischem Akt und politischer Aktion. Andcompany&Co. dagegen ziehen politisch-historische Linien vom Abfall der Niederlande von der spanischen Krone – über den Schiller schrieb – bis hin zu Occupy heute. Das ist einerseits sehr diskursiv und theoriesicher, anderseits aber überbordendes, teils lustvoll klamaukiges Theater. Tamer Yiğit wiederum untersucht musikalisch den westlichen Blick auf die arabischen Revolutionen und was wir da alles draufprojizieren. Und Bernadette La Hengst will in »Bedingungsloses Grundeinsingen« gemeinsam mit einem Chor Bochumer Bürger sehr spielerisch herausbekommen, welche Rolle Arbeit und Geld in unserem Leben spielen.
K.WEST: Die Aktion »Zwei Minuten Stillstand« der israelischen Künstlerin Yael Bartana fordert die Menschen in Köln auf, am 28. Juni um 11 Uhr zwei Minuten stillzuhalten – in Anlehnung an den jährlichen Jom haSho’a, an dem in Israel das öffentliche Leben ebenfalls für zwei Minuten anhält im Gedenken an den Holocaust. Währenddessen soll darüber nachgedacht werden, was es heute bedeutet, Immigrant oder Deutscher zu sein. Bitte denken Sie jetzt einmal zwei Minuten lang darüber nach, Deutscher zu sein.
MALZACHER: Hm. Also: Mich hat dieses Comeback der Nationalstaatsidee in den letzten Jahren überrascht. Nicht nur, dass diese Konstruktion des 19. Jahrhunderts plötzlich bei anderen wieder eine so große Rolle spielt, sondern auch dass ich selbst wieder drauf zurückgeworfen bin. Mein Leben spielt sich sehr international ab, ich habe zuletzt in Österreich und Kroatien gewohnt, mein Freundeskreis ist über die Welt verstreut, meine Partnerin ist polnisch … Und nun merke ich, dass ich trotzdem oder vielleicht gerade deshalb zunehmend darauf gestoßen werde: Ist diese oder jene Verhaltensweise typisch deutsch? Meine Werte, meine Vorstellungen davon, wie Dinge gemacht werden? Ist nicht meine politische Korrektheit auch typisch deutsch? Und warum glauben wir, dass unser Wirtschaftssystem oder unser Umweltbewusstsein eine richtigere Antwort ist als die anderer Länder? Solche Fragen nach national-kulturellen Prägungen haben plötzlich von außen wie von innen heraus wieder eine Wichtigkeit bekommen, die ich ihnen lange nicht zugestanden hätte – und eigentlich auch künftig nicht will.
K.WEST: Eine Minute 15 Sekunden!
MALZACHER: Das Problem wird eher sein, dass zwei Minuten natürlich nicht ausreichen, wenn man erst mal damit anfängt!
»WIE ES WEITERGEHT«
Der Direktor des Kultursekretariats Wuppertal, Christian Esch, über die Finanzsituation der »Impulse«
K.WEST: Es gab im zeitlichen Vorfeld der diesjährigen Impulse so etwas wie ein Erschrecken, weil die Finanzierung des Festivals nicht gesichert schien.
ESCH: Das stimmt, wir konnten in vielen Gesprächen leider nicht zu dem Ergebnis kommen, das notwendig gewesen wäre, um die Impulse in der Weise fortzusetzen, wie es gedacht war und auch nötig ist. Dadurch stand der Etat relativ spät fest, was für die Programmierung des Festivals nicht wirklich erfreulich war.
K.WEST: Die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes war ausgelaufen. Aber das wusste man doch vorher?
ESCH: Das wussten wir vorher, schon vor dem letzten Festival. Der entsprechende Brief ging ja nicht nur ans Kultursekretariat, der ging auch ans Land. Danach gab es verschiedene Bemühungen um andere Finanzquellen. Aber eben ohne das nötige Ergebnis. Dann kam der Zeitpunkt, an dem wir deutlich machen mussten, dass es brenzlig sei und darum ging, das Festival auch für die Zukunft zu erhalten.
K.WEST: Zeitweilig stand dicke Luft im Raum zwischen Land und Kultursekretariat, weil das Land sich zu Unrecht als Impulse-feindlich angegriffen sah. Ist die Luft wieder rein?
ESCH: Ich denke schon. Ich habe nichts bemerkt, was mich daran zweifeln lässt. Ich hoffe es vor allem. Und das Land hat sich ja dankenswerterweise mit 50.000 Euro am Gesamtetat der »Impulse« 2013 von ca. 800.000 Euro beteiligt. Allerdings muss es vor dem nächsten Festival bei allen Beteiligten eine klare Vorstellung davon geben, wie es weitergeht.
K.WEST: Ist es schwieriger geworden, bei den Städten Unterstützung für die »Impulse« zu bekommen?
ESCH: Die Impulse haben bei den Städten einen wirklich guten Stand. Dass die vier beteiligten Kommunen mit jeweils 45.000 Euro dabei sind, trotz ihrer Finanzlage, zeigt die Verbundenheit. Was wir in den Blick nehmen sollten, ist der Bund. Der sollte die »Impulse« stärker in Betracht ziehen. Und tatsächlich hege ich da eine gewisse Hoffnung.
K.WEST: Ihre Entscheidung, den Impulsen – aus finanziellen Gründen – ab 2006 einen Zweijahresrhythmus zu verpassen, stieß damals auf Kritik, u.a. fürchtete man, ganze Jahrgänge könnten nicht einladen werden. War die Kritik berechtigt?
ESCH: Nein. Es ist bis dato nie passiert, dass wir eine Produktion nicht einladen konnten, weil wir zwei Jahre statt einem Jahr Abstand hatten. Und die biennale Struktur hat uns einen stabileren Etat und eine größere Planbarkeit beschert. Schöner wäre es einjährig, keine Frage.
Vom 27. Juni bis 6. Juli 2013. Tel.: 0202/69 827 278. www.festivalimpulse.de