Soeben war er aus der Erde gekrochen, da passierte es: Eine braune Wurst fiel auf seinen Kopf und blieb dort turbanähnlich liegen. Man sieht dem kleinen Maulwurf seine Empörung an, wenn er mit der Frage »Wer hat mir auf den Kopf gemacht?« hoch erhobenen Hauptes von Buchseite zu Buchseite und von Tier zu Tier rennt. Bis zwei dicke schwarze Fliegen, das Corpus delicti olfaktorisch inspizierend, das Geheimnis lüften: der Täter war Hans-Heinerich, der Metzgershund.
1989 hat der Illustrator Wolf Erlbruch die Geschichte »Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat« (nach einem Text von Werner Holzwarth) gezeichnet. Es war sein zweites Kinderbuch – inzwischen ist es Kult: Kinder (und Erwachsene) in über zwanzig Ländern und Sprachen verfolgen mittlerweile die Suche des Tierchens nach seinem Kopfbeschmutzer.
Jetzt ist der kleine Maulwurf ins Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum gewandert und empfängt den Besucher im Eingansbereich in allen zwanzig Sprachen. Wolf Erlbruch zeigt in einer umfangreichen Ausstellung Originalzeichnungen zu seinen Bildgeschichten, Bücher, und – erkenntnisreich – er gewährt einen Blick in seine Werkstatt mit freien Skizzen und Zeichnungen von Figuren, Köpfen, Räumen, mit Material- und Farbversuchen.
Erlbruch, 1948 in Wuppertal geboren, studierte an der Folkwangschule in Essen-Werden, arbeitete als Werbegrafiker, ehe er sich ganz dem Zeichnen von Bilderbüchern widmete. Heute gehört er zu den wichtigsten und erfolgreichsten Vertretern seiner Zunft. Der Erlbruch-Stil mit den eckigen, oftmals ausgeschnittenen Figuren, der Collage-Technik mit vergilbten, bedruckten, farbigen Papieren, Landkarten, mathematischen Bildtafeln, braunen Pappen, karierten Stoffmustern wird inzwischen vielfach kopiert. Seit 1997 lehrt Wolf Erlbruch als Professor für Illustration an der Universität Wuppertal.
Kindern, sagt Erlbruch, darf man nicht von oben herab, sondern muss ihnen auf Augenhöhe begegnen, ohne sich ihnen anzubiedern. Man müsse sich Naivität bewahren, aber als Künstler aufrichtig sein. »Man muss Kindern sein Bestes geben.« Deshalb quäle er sich jedes Mal aufs Neue, oftmals monatelang, bis er mit einer Figur zufrieden sei. Dabei illustriert der Künstler nicht allein die Texte, sondern spinnt und deutet sie in freier Assoziation weiter. Damit gelingt Erlbruch der seltene Spagat: den (Kunst-) Anspruch der Erwachsenen zu verbinden mit der phantasieanregenden Freude der Kinder. Wie zum Beispiel in einem seiner schönsten Bücher »Nachts«. Der kleine Fons kann nicht schlafen, weckt seinen Vater und geht mit ihm durch die dunkle Stadt. (Ist es Wuppertal, nach der Dichterin Else Lasker-Schüler eine Stadt »wie ein altes, düsteres Bilderbuch mit lauter Sagen?«) Der kleine Fons jedenfalls sieht wundersame Dinge: ein Fisch fährt eine Erdbeere im Kinderwagen spazieren, eine Maus sitzt im Ruderboot, eine Tulpe fährt Rollschuh, die Bäume haben Gesichter. Der Vater aber sieht nichts, er erzählt seinem Sohn nur, dass alle schliefen und gar nichts los sei.
In einem seiner letzten Bücher fragt Erlbruch »Warum bin ich auf der Welt?« Die Antworten von Menschen und Tieren sind verblüffend einfach. Auch er selbst vermag keinen besonderen oder höheren Sinn des Lebens zu entdecken. Außer »sich als Lebewesen unter Lebewesen zu bewähren.« Ob bei »Frau Meier, der Amsel«, in der »Werkstatt der Schmetterlinge«, beim »Adler, der nicht fliegen wollte«, ob unter Bären, Hunden, Fischen: Wolf Erlbruch zeigt sein Erdenpersonal in liebevoller Zuwendung in einer Welt voller Widersprüche, Rätsel, Geheimnisse, Skurrilitäten und Absurditäten – mit dem offenen, unverstellten Kinderblick des Künstlers.
4.9. bis 2.10.2005 Tel.: 0202/563-6231. www.von-der-heydt-museum.de