TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Als wäre er gerade erst gegangen. Auf einem etwas ausgeblichenen weißen Sixties-Sessel liegt sein beiger Overall, wie beiläufig zurückgelassen. Wilp, der Werber, der keiner sein wollte und statt des uniformen Designer-Schwarz’ lieber orangene, hellblaue oder eben beige Arbeitsoveralls trug. Eher Handwerker als Büromensch. Und wer Charles Wilp nur auf seine Arbeiten in der Werbung reduziert, liegt eh falsch. Sicher, er hat in den 60er Jahren die legendären Afri-Cola-Spots gedreht, die auch noch heute dermaßen avantgardistisch daherkommen, dass einem angst und bange wird. Hinter vereisten Scheiben posierten junge Menschen, Soldaten, Nonnen samt formschöner Afri-Flaschen, unter ihnen Marianne Faithfull, Amanda Lear und Donna Summer. »sexy-mini-super-flower-pop-up-cola« – unterlegt mit psychedelisch-schummrigem Space-Jazz, der ebenfalls von Charles Wilp stammt.
Komponist war er also auch, zudem Fotograf, Filmemacher, Texter, Künstler und selbsternannter »ARTronaut«. Der Kollege Yves Klein bezeichnete ihn mal als »Prince of Space«. Visionär, avantgardistisch, von der Raumfahrt fasziniert, mit dem Kopf in den Sternen. Wilp nahm an Parabelflügen teil und malte in der Schwerelosigkeit – wie sein Vorbild Michelangelo, der, rücklings unter der Decke hängend, die Sixtinische Kapelle bemalte. »Mentale Schwerelosigkeit« nannte Wilp diesen Zustand. 1993 war er Teil der zweiten Deutschen Spacelab-Mission D2; er blieb aber im Kontrollzentrum, während seine Kunstwerke an Bord des Space-Shuttles »Columbia« ins All abhoben.
Sein damaliger hellblauer NASA-Overall mit Aufnähern und Dienstausweis hängt heute zwischen alten Schalttafeln im ehemaligen Pumpenhaus der Wittener Wasserwerke und ist ebenso ein Museumsstück wie der beige Alltags-Overall. »Charles Wilp Space« heißt dieser Ort seit seiner Eröffnung im Herbst 2012, und der zweideutige Name trifft die Sache ganz gut. Kein starres Museum, sondern ein offener Erinnerungs- und Begegnungsraum für Wilp und seine Kunst. Es hat einigen Anlauf gekostet, diesen Ort entstehen zu lassen. Geplant hatte ihn Charles Wilp gemeinsam mit seiner Frau Ingrid schon zu Lebzeiten, naheliegenderweise sollte er in Düsseldorf zu finden sein, wo Wilp lebte und arbeitete. Letzteres tat er bevorzugt im seinem Atelier, dem Ufo-förmigen »Futuro« auf dem Dach seines Hauses.
Nach Wilps Tod im Jahr 2005 kam man in Düsseldorf zu keinem richtigen Ergebnis, unter anderem wurden Banalitäten wie die elliptischen Fenster des »Futuro« angeführt, die angeblich in der Deutschen Bauordnung nicht vorgesehen sind. In Wilps Heimatstadt Witten bekam man Wind von der Sache, ein Leserbrief forderte »Witten, übernehmen Sie!«, der Förderverein »Charles Wilp Modul e.V.« gründete sich und arbeitete gemeinsam mit Ingrid Wilp daran, den »Space« in die Stadt zu holen, in der Wilp 1932 geboren wurde. Nachdem man mit dem ehemaligen Pumpenhaus an der Ruhrbrücke einen geeigneten Ort gefunden hatte, ging man daran, das »Futuro« in Witten landen zu lassen. 1968 hatte der finnische Architekt Matti Suuronen die kugelige Einraumwohnung aus Fiberglas und Polyester entworfen, produziert wurde sie aber nur in geringer Stückzahl. Um das Ding mit seinen 2,5 t Gewicht und einem Durchmesser von acht Metern seinerzeit nach Düsseldorf zu bekommen, stellte der damalige Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt, der mit Wilp befreundet war, kurzerhand einen Lastenhubschrauber zur Verfügung, so dass das »Futuro« stilecht in Düsseldorf einschweben konnte.
Für den Schwertransport nach Witten brauchte man jetzt einen Tieflader und zwei Tage Zeit, samt aufwändig gesperrter Autobahnen und Straßen; inklusive eines spektakulär verunfallten LKWs, der bei einem waghalsigen Überholmanöver umkippte und in der Lokalpresse die hübsche Schlagzeile »Ufo-Unfall auf der A44« produzierte. Nun steht das weiße »Futuro« vor dem Eingang des »Charles Wilp Space« – der Raum selbst erinnert mit seinen verschiedenen Ebenen, hellblauen Fliesen und roten Geländern zwar an ein leeres Schwimmbad der 60er Jahre, was aber in seiner Retro-Konsequenz gut zu Wilp passt.
Momentan bestimmen seine »Orbital Elements« den Raum; Skulpturen und Installationen, die Wilp aus Hightech-Material wie goldbeschichteter Satellitenfolie und Trümmerteilen der zerstörten Trägerrakete Ariane 5 baute. An den Wänden finden sich – logisch – Motive aus der legendären Afri-Cola-Kampagne, deren Konzeption ebenfalls mit der Raumfahrt verbunden ist. Wilp entdeckte auf der Luftwaffenbasis in Huntsville, Alabama, wo damals die Saturn V-Raketen gebaut wurden, eine Halle, in der flüssiger, tiefgekühlter Sauerstoff gelagert wurde. Hinter den eisig-beschlagenen Scheiben war der offene Spind eines Arbeiters zur erkennen, in dem ein Pin-Up befestigt war.
»Die blaue Hand« Yves Kleins hängt als Foto hier genauso wie Wilps Porträt von Joseph Beuys ohne Hemd und Hut, der ruhig und fremd in die Kamera blickt. Das Foto entstand während eines gemeinsamen Aufenthalts in Kenia, wo die beiden Sandbilder malten, die aber ziemlich schnell von den Wellen wieder weggespült wurden – die »Beseelung des Ozeans«, so Beuys. Wilp hat später diesen Begriff auf das Universum erweitert, als die Raumstation Mir kontrolliert abstürzte und seine darin befindliche »Space Art« auf seinen Wunsch mit verglühte und so den Weltraum »beseelte«. Blättert man heute in Wilps rarem und leider vergriffenen Bildband »Dazzledorf. Düsseldorf Vorort der Welt«, entdeckt man nicht nur Beuys in Badehose am Strand von Kenia, sondern spürt auch die avantgardistische Kreativität Wilps: Nonnen hinter Eisblumen; »Und läuft. Und läuft. Und läuft.« für Volkswagen; die Teilnahme als Ein-Mann-Ausstellung auf der Documenta 5; Andy Warhol, Yves Klein, Jean Tinguely, Christo zu Besuch im Düsseldorfer »Futuro« oder beim Bier in einer Altstadt-Kneipe; die Trümmer seines, aus Protest gegen die Umweltverschmutzung, in die Luft gesprengten Sportwagens als Skulptur »Weiße Orchidee« an der Studiowand; Helmut Schmidt am Fußballkicker, aufgenommen im Rahmen von Wilps legendären Porträts des sozialliberalen Kabinetts.
Der »Charles Wilp Space« scheint fast zu klein für die vielen Geschichten, die man über ihn erzählen kann; zu klein für jemanden, der eine ganze Generation Pop mitprägte, dessen Kunst auf dem Weg zu den Sternen war und jetzt in Witten gelandet ist. Deswegen haben sich Ingrid Wilp und der Förderverein gegen ein popkulturelles Heimatmuseum entschieden. Der »Space« soll als offener Raum verstanden werden, in dem auch Konzerte stattfinden. Die Ausstellung wird sich stetig wandeln – nach den »Orbital Elements«, die noch bis Anfang April 2013 zu sehen sind, ist für dieses Jahr eine Sonder-Schau über Wilps Werbekampagnen geplant. Einen Vorgeschmack darauf gibt es in der kleinen Blackbox im Kellergeschoss des »Space«, wo sich der Besucher die legendären Werbe- und Kurzfilme anschauen kann. Die Beamer sind raffiniert platziert – die Filme werden auf eine schräge Fläche projiziert. Um Wilp zu sehen, muss man also nach oben schauen. Wohin auch sonst?
»Charles Wilp Space«, Ruhrstraße 110, 58452 Witten. Geöffnet nach telefonischer Voranmeldung unter: Tel.: 0151/53547626. www.charleswilp.org